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Diaspora

Diaspora

Titel: Diaspora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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ihnen Zweige knacken. Hie rief hoffnungsvoll: »Orlando?« Sie blieben stehen und horchten, aber es gab keine Antwort.
    »Vermutlich war es nur ein Tier«, sagte Inoshiro.
    »Warte. Ich kann jemanden erkennen.«
    »Wo?«
    Yatima zeigte auf die kleine braune Hand, die einen kleinen Ast hielt, etwa zwanzig Meter entfernt. Sie versuchte ihn langsam loszulassen, statt ihn unvermittelt zurückschnellen zu lassen. »Ich glaube, es ist ein Kind.«
    Inoshiro sprach laut, aber in ruhigem Tonfall in Neu-Romanisch. »Wir sind Freunde! Wir haben Neuigkeiten!«
    Yatima justierte die Reaktionskurve der visuellen Systeme des Gleisners nach, um sie für das Halbdunkel hinter dem Ast zu optimieren. Ein einziges dunkles Auges starrte durch eine Lücke zwischen den Blättern zurück. Nach wenigen Sekunden bewegte sich das Gesicht vorsichtig und suchte sich ein neues Guckloch. Yatima rekonstruierte das verschwommene Bild zu einem gezackten Hautstreifen zwischen zwei Lemurenaugen.
    Hie übermittelte das Teilbild an die Bibliothek und leitete das Ergebnis dann an Inoshiro weiter. »Hie ist ein Traumaffe.«
    »Schieß auf hie.«
    »Was?«
    »Schieß mit dem Introdus auf hie!« Inoshiro blieb völlig reglos und leise, während er eindringlich in Infrarot sprach. »Wir können hie nicht hier sterben lassen!«
    Das Auge des Traumaffen im Rahmen der Blätter blieb auf unheimliche Weise ausdruckslos. »Aber wir können hie nicht zwingen …«
    »Was willst du statt dessen tun? Hie eine Nachhilfestunde in der Physik von Neutronensternen geben? Selbst die Mittler kommen nicht zu den Traumaffen durch! Niemand kann ihnen erklären, wie ihre Chancen stehen – weder jetzt noch irgendwann!«
    Yatima blieb hartnäckig. »Wir haben nicht das Recht, es mit Gewalt zu tun. Drinnen hätte hie keine Freunde, keine Familie …«
    Inoshiro gab einen Laut des Widerwillens und der Fassungslosigkeit von sich. »Wir können hie ein paar Freunde klonen! Wir geben hie eine Landschaft wie diese, und hie wird kaum den Unterschied bemerken!«
    »Wir sind nicht hier, um irgend jemanden zu kidnappen. Stell dir vor, wie du dich fühlen würdest, wenn ein fremdes Wesen in die Polis greift und dich von allem, was dir vertraut ist, fortreißt …«
    Inoshiro hätte vor Verzweiflung fast aufgeschrien. »Nein, du sollst dir vorstellen, wie dieser Körperliche sich fühlen wird, wenn heine Haut so schwer verbrannt ist, daß Körperflüssigkeiten austreten!«
    Yatima fühlte sich von Zweifeln geplagt. Hie konnte sich das gesamte verborgene Traumaffenkind vorstellen, wie hie furchtsam darauf wartete, daß die Fremden weitergingen – und obwohl hie kaum verstand, was körperliche Schmerzen waren, riefen die Bilder der physischen Integrität eine tiefe Resonanz hervor. Die Biosphäre war eine ungeordnete Welt, voller potentieller Toxine und Pathogene, ausschließlich durch die zufälligen Kollisionen von Molekülen beherrscht. Eine aufgerissene Haut mußte wie ein Exo-Ich mit schwerer Störung sein, das wahllos Daten über die individuelle Begrenzung fließen ließ, die den betroffenen Bürger überschrieben und korrumpierten.
    Hie sagte hoffnungsvoll: »Vielleicht findet heine Familie eine Höhle, in der sie Schutz suchen kann, wenn sie die Auswirkungen der UV-Strahlung bemerken. Das ist nicht unmöglich; das Blätterdach wird sie eine Zeitlang schützen. Sie könnten sich von Pilzen ernähren …«
    »Ich werde es tun.« Inoshiro packte Yatimas rechten Arm und richtete ihn auf das Kind. »Übergib mir die Kontrolle über das Transfersystem, und ich werde es selbst machen.«
    Yatima versuchte sich loszureißen. Inoshiro leistete Widerstand. Der Kampf verwirrte ihre separaten Kopien des Interface, das zu dumm war, um zu erkennen, daß es gegen sich selbst kämpfte, so daß beide aus dem Gleichgewicht gerieten. Als Yatima ins Unterholz purzelte, konnte hie es beinahe spüren: den Fall und den unvermeidlichen Aufprall. Hilflosigkeit. Hie hörte, wie das Kind davonlief.
    Keiner von beiden rührte sich. Nach einer Weile sagte Yatima: »Die Mittler werden einen Weg finden, um sie zu schützen. Sie werden eine Abschirmung für ihre Haut herstellen. Sie könnten die Gene eines Virus freisetzen …«
    »Und das alles sollen sie innerhalb eines Tages schaffen? Bevor oder nachdem sie eine Methode gefunden haben, wie sie fünfzehntausend Menschen ernähren sollen, wenn ihre Nutzpflanzen verdorrt sind, der Boden gefroren ist und der Regen sich in Salpetersäure verwandelt hat?«
    Yatima

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