Diaspora
weißen Knochen bestand. Yatima betrachtete sie und schrak desorientiert zurück. Dieser geschwärzte Schädel war nicht irgendein Symbol in einem drittklassigen Polis-Kunstwerk; es war der Beweis für die unfreiwillige Auslöschung eines menschlichen Bewußtseins. In der physikalischen Welt war so etwas möglich. Der Tod einer kosmischen Eintagsfliege konnte das bewirken.
»Es ist Liana«, sagte Inoshiro.
Yatima versuchte diese Tatsache aufzunehmen, aber hie empfand nichts, die Vorstellung bedeutete für hie nichts.
»Hast du schon … ?«
»Noch nicht.« Inoshiros Stimme war völlig ausdruckslos.
Yatima ließ hie allein und begann, die Trümmer in Infrarot abzusuchen, während hie sich fragte, wie lange eine Leiche wärmer als die Umgebung bleiben mochte. Dann hörte er ein schwaches Geräusch von der Vorderseite des Hauses.
Orlando war unter Trümmern des eingestürzten Daches begraben. Yatima rief Inoshiro, und sie legten ihn schnell frei. Er war schwer verletzt, beide Beine und ein Arm waren zerquetscht, und aus einer tiefen Wunde im Schenkel strömte Blut. Yatima probierte die Verbindung nach Konishi aus, da hie nicht die geringste Ahnung hatte, wie solche Verwundungen zu behandeln waren, doch entweder war die Stratosphäre immer noch ionisiert, oder eine der Drohnen war im Sturm verlorengegangen.
Orlando blickte zu ihnen auf, aschfahl, aber bei Bewußtsein. Seine Augen flehten um etwas. Inoshiro sagte matt: «Sie ist tot.« Orlandos Gesicht verzerrte sich stumm.
Yatima wandte den Blick ab und sprach in Infrarot zu Inoshiro. »Was tun wir jetzt? Sollen wir ihn an einen Ort tragen, wo man ihn behandeln kann? Sollen wir jemanden holen? Ich weiß nicht, wie diese Dinge funktionieren.«
»Hier gibt es Tausende von Verletzten. Niemand wird ihn behandeln. Dazu wird er nicht lange genug leben.«
Yatima geriet in Zorn. »Man kann ihn doch nicht einfach sterben lassen!«
Inoshiro zuckte die Achseln. »Willst du versuchen, eine Kommunikationsverbindung zu finden, und einen Arzt rufen?« Hie lugte durch die aufgebrochene Wand. »Oder willst du versuchen, ihn zum Krankenhaus zu tragen, in der Hoffnung, daß er die Strapaze überlebt?«
Yatima ging neben Orlando in die Knie. »Was sollen wir tun? Viele Menschen sind verletzt, und ich weiß nicht, wie lange es dauert, bis Hilfe kommt.«
Orlando schrie vor Schmerzen. Ein schwacher Strahl aus Sonnenlicht kam durch ein Loch in der Decke und bestrahlte die Haut seines gebrochenen rechten Armes. Yatima blickte auf. Der Sturm war vorbei, die Wolken verflüchtigten sich und trieben davon.
Hie stand auf, um das Licht zu blockieren, während Inoshiro hinter Orlando in die Hocke ging, ihn an den Armen hochhob und ihn dann über die Trümmer in den Schatten zerrte. Die Schenkelwunde hinterließ eine dicke Blutspur.
Yatima kniete sich wieder neben ihn. »Ich habe noch immer etwas Introdus-Nanoware dabei. Ich kann sie einsetzen, wenn du es möchtest.«
Orlando sagte verständlich: »Ich will mit Liana reden. Bringt mich zu Liana.«
»Liana ist tot.«
»Ich glaube euch nicht. Bringt mich zu ihr.« Er rang nach Atem, aber er stieß die Worte trotzig und kraftvoll hervor.
Yatima kehrte zum Loch in der Decke zurück. In gewöhnlichem Licht erschien die Sonne als blasse orangefarbene Scheibe hinter dem braunen Dunst der Stratosphäre, doch im UV-Spektrum strahlte sie grell inmitten gleißender Streustrahlung.
Hie verließ den Raum und kehrte mit Lianas Leiche zurück, die hie mit einer Hand am Schlüsselbein trug. Orlando schlug sich den ungebrochenen Arm vor das Gesicht und weinte laut.
Inoshiro brachte die Leiche fort. Yatima kniete sich ein drittes Mal neben Orlando und legte ihm unbeholfen die Hand auf die Schulter. »Es tut mir leid, daß sie tot ist. Es tut mir leid, daß es dich schmerzt.« Hie spürte, wie Orlandos Körper unter jedem Schluchzen erzitterte. »Was möchtest du? Möchtest du sterben?«
Inoshiro sprach über Infrarot. »Du hättest gehen sollen, als du noch die Gelegenheit dazu hattest.«
»So? Und warum bist du zurückgekommen?«
Inoshiro antwortete nicht. Yatima drehte sich zu hie herum. »Du wußtest von dem Sturm, nicht wahr? Du wußtest, was hier geschehen würde!«
»Ja.« Inoshiro vollführte eine Geste der Hilflosigkeit. »Aber wenn ich bei unserer Ankunft irgend etwas davon gesagt hätte, hätten wir vielleicht keine Gelegenheit erhalten, mit den anderen Körperlichen zu sprechen. Und nach der Versammlung war es bereits zu spät. Es
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