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Diaspora

Diaspora

Titel: Diaspora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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hätte nur Panik ausgelöst.«
    Die Vorderwand knirschte und kippte nach vorn, als sie sich in einer Wolke aus schwarzem Staub von der Dachkonstruktion löste. Yatima sprang auf die Beine und wich zurück, dann feuerte hie den Introdus auf Orlando ab.
    Hie erstarrte. Die Wand war auf ein Hindernis gestoßen; sie hatte sich bedenklich geneigt, aber sie hielt. Die Nanoware strömte in Wellen durch Orlandos Körper, kappte die Nervenbahnen und versiegelte die Blutgefäße, um den Schock der Invasion zu minimieren. Sie hinterließ einen rosafarbenen Überrest auf den Trümmern, als das Gewebe gelesen und dann zur Energiegewinnung aufgelöst wurde. Nach wenigen Sekunden hatten sich alle Wellen zu einer grauen Maske auf seinem Gesicht zusammengezogen, die dann in das Innere des Schädels vorstieß. Der schrumpfende Kern der Nanoware verströmte Flüssigkeit und Dampf, während sie wichtige synaptische Eigenschaften las und codierte, das Gehirn zu einer immer dichteren Beschreibung komprimierte und alle Redundanzen als Ausschuß absonderte.
    Inoshiro bückte sich und hob das Endprodukt auf: eine kristalline Kugel, ein molekularer Speicher, der alles enthielt, was Orlando gewesen war.
    »Und was jetzt? Wie viele hast du noch übrig?«
    Yatima starrte benommen auf den Snapshot. Hie hatte Orlandos Autonomie verletzt. Wie ein Blitz, wie eine Überdosis UV-Strahlung hatte hie die körperliche Integrität eines anderen Menschen verletzt.
    »Wie viele?«
    »Vierzehn«, antwortete Yatima.
    »Dann sollten wir sie einsetzen, solange es noch geht.«
    Inoshiro führte hie aus den Ruinen. Yatima schoß auf jeden, dem sie begegneten, der dem Tod geweiht schien und um den sich niemand kümmerte. Hie las die Snapshots sofort ein, indem hie sich die Daten in Infrarot in die Speicher heines Gleisners übertragen ließ. Sie hatten zwölf weitere Mittler aufgenommen, als eine von den Grenzwachen angeführte Horde sie entdeckte.
    Zuerst zerteilten sie Yatima. Hie gab die Snapshots an Inoshiro weiter und folgte dann selbst.
    Bevor sie damit fertig waren, heinen alten Körper vollständig zu zerstören, war die Verbindung nach Konishi wieder da. Die Drohnen hatten den Sturm überlebt.
     

6 Divergenz
     
    Konishi-Polis, Erde
    24 667 272 518 451 KSZ
    10. Dezember 3015, 3:21:55.605 WZ
     
     
    Yatima blickte durch das Fenster des Aussichtspostens auf die Erde hinab. Die Oberfläche war nicht vollständig von NO x verhüllt, doch der größte Teil erschien in kaum unterscheidbaren Schattierungen von mattem, rotgetöntem Grau. Nur die Wolken und die Eiskappen zeichneten sich deutlich ab und ließen die Stratosphäre gnadenlos in einem rötlich-braunen Licht erstrahlen. Hoch über den Wolken und dem Schnee sah sie wie verwesendes Blut aus, das mit Säure und Exkrementen durchmischt war – schmutzig, verätzt, verfault. Die Wunde, die Lacertas schneller und heftiger Schlag der Erde versetzt hatte, eiterte nun schon seit fast zwanzig Jahren.
    Inoshiro und hie hatten diese Landschaft gemeinsam konstruiert, eine Orbitalstation, in der Flüchtlinge einen Blick auf die Welt werfen konnten, die sie verlassen hatten. Und sie war tatsächlich so weit entfernt, als hätten sie sich körperlich über den sauren Schnee und den blendend grellen Himmel erhoben, denn in Wirklichkeit befanden sie sich hundert Meter unter der Erdoberfläche, inmitten eines verwüsteten Landes. Doch es war sinnlos, sie mit dieser klaustrophobischen und irrelevanten Tatsache zu konfrontieren. Jetzt war die Station verlassen, nachdem die letzten Flüchtlinge weitergezogen waren und keine weiteren mehr folgen würden. Hungersnöte hatten die letzten überlebenden Enklaven ausgelöscht, doch selbst wenn sie noch ein paar Jahre lang durchgehalten hätten, wäre es nicht anders gekommen. Das Plankton und die Landvegetation starb so schnell ab, daß die Sauerstoffkonzentration der Planetenatmosphäre bald auf ein tödliches Niveau sinken würde. Das Zeitalter der Körperlichkeit war vorbei.
    Man hatte über eine Rückkehr gesprochen, über die Möglichkeit, in der Sicherheit der Poleis eine widerstandsfähige neue Biosphäre zu entwerfen und dann zu synthetisieren, Molekül für Molekül, Spezies für Spezies. Vielleicht würde es sogar irgendwann geschehen, obwohl die Fürsprecher dieser Idee bereits weniger wurden. Es war eine Sache, harte Zeiten zu ertragen, um in einer vertrauten Form weiterleben zu können, aber etwas ganz anderes, sich in einem fremden Körper in einer fremden Welt zu

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