Diaspora
gefiel die Idee, aber er hatte Zweifel. »Es könnte schwierig werden, dafür eine Zweidrittelmehrheit zu gewinnen. Die Sache ist ein wenig obskur.«
Hermann lachte. »Wozu brauchen wir eine Zweidrittelmehrheit? Wenn wir sie Wang-Teppiche nennen wollen, dann nennen wir sie Wang-Teppiche. Gegenwärtig sind in C-Z siebenundneunzig Sprachen im Gebrauch, von denen die Hälfte seit der Gründung der Polis erfunden wurde. Ich glaube kaum, daß man uns ins Exil schickt, wenn wir einen Namen für den Privatgebrauch prägen.«
Paolo stimmte leicht verlegen zu. Um ehrlich zu sein, hatte er völlig vergessen, daß Hermann und Karpal gar nicht Neu-Romanisch sprachen.
Alle drei wiesen ihre Exo-Ichs an, den Namen als angenommen zu betrachten: Fortan würden sie ›Teppich‹ als ›Wang-Teppich‹ hören – doch wenn sie den Begriff gegenüber anderen benutzten, würde er umgekehrt übersetzt werden.
Orlandos Feier der Entdeckungen durch die Mikrosonden war in erster Linie eine Angelegenheit der carnevale -Flüchtlinge. Die Landschaft war ein endloser sonniger Garten voller Tische, die mit Essen überfüllt waren, und die Einladung hatte höflich nahegelegt, in Vorfahrengestalt teilzunehmen. Paolos Höflichkeit ging so weit, daß er den größten Teil der Physiologie simulierte, den Körper jedoch als Marionette betrieb, ohne seinen Geist daran zu fesseln.
Er war von Tisch zu Tisch geschlendert, hatte vom Essen gekostet, um den Anschein zu wahren, und wünschte sich, Elena wäre gekommen. Es wurde nur wenig über die Biologie der Wang-Teppiche gesprochen; die meisten Anwesenden feierten ausschließlich ihren Sieg über die Gegner der Mikrosonden – und die Demütigung dieser Gruppe, nachdem nun kein Zweifel mehr bestand, daß die ›penetrierende‹ Observation keinen Schaden anrichten konnte. Liesls Befürchtungen hatten sich als unbegründet erwiesen, denn es gab kein anderes Leben im Meer, nur Wang-Teppiche in unterschiedlichen Größen. Paolo fühlte sich nach der Etablierung dieser Tatsache auf perverse Weise neutral und hätte diesen selbstgefälligen Meinungsmachern am liebsten gesagt: Da unten hätte es alles mögliche geben können. Fremdartige Geschöpfe, auf eine Art und Weise zart und verletzlich, wie wir sie niemals hätten vorhersehen können. Wir haben Glück gehabt, das ist alles.
Irgendwann war er allein mit Orlando, beinahe zufällig, da sie beide vor unterschiedlichen Gruppen unangenehmer Gäste geflüchtet waren, bis sich ihre Wege auf dem Rasen kreuzten.
Paolo fragte: »Was glaubst du, wie man es zu Hause aufnehmen wird?«
»Es ist das erste fremde Leben, nicht wahr? Ganz gleich, ob primitiv oder nicht. Es sollte zumindest das Interesse an der Diaspora wachhalten, bis die nächste außerirdische Biosphäre entdeckt wird.« Orlando wirkte bedrückt; vielleicht hatte er sich endlich mit der tiefen Kluft zwischen ihrer bescheidenen Entdeckung und der irdischen Sehnsucht nach welterschütternden Resultaten abgefunden. »Zumindest ist die Chemie neuartig. Wenn sich herausgestellt hätte, daß sie auf DNS und Proteinen beruht, wäre vermutlich die Hälfte von C-Z an Langeweile gestorben. Schauen wir den Tatsachen ins Gesicht: Die Möglichkeiten der DNS sind bis zum Erbrechen simuliert worden.«
Paolo lächelte über die Häresie. »Du meinst, wenn die Natur nicht ein wenig Originalität hervorgebracht hätte, wäre das Vertrauen der Leute in die Charta erschüttert worden? Wenn sich die solipsistischen Poleis plötzlich als erfindungsreicher als das Universum erwiesen hätten …?«
»Genau.«
Sie gingen schweigend weiter, bis Orlando stehenblieb und sich zu ihm umdrehte. »Ich muß dir etwas mitteilen. Mein Erden-Ich ist tot.«
»Was?«
»Bitte reg dich nicht auf.«
»Aber … wieso? Warum hat er das getan?« Tod war mit Selbstmord gleichzusetzen, denn es gab keine andere Ursache.
»Ich weiß nicht, warum. Ob es ein Ausdruck der Zuversicht in die Diaspora war« – Orlando hatte sich entschieden, nur aufzuwachen, wenn fremdes Leben gefunden wurde – »oder ob er es leid war, auf gute Nachrichten von uns zu warten und möglicherweise eine Enttäuschung zu erleben – ich weiß es nicht. Er hat keinen Grund genannt. Er veranlaßte lediglich sein Exo-Ich, uns in einer Botschaft mitzuteilen, was er getan hat.«
Paolo war erschüttert. »Wann ist es geschehen?«
»Etwa fünfzig Jahre nach dem Start.«
»Mein Erden-Ich hat nichts davon erwähnt.«
»Es war meine Aufgabe, es dir zu sagen, nicht
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