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Diaspora

Diaspora

Titel: Diaspora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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Schreib-/Lesekopf der hypothetischen Turing-Maschine befinden sollte. »Willst du mir sagen, daß nur eine Kachel von einer Reihe zur nächsten verändert wird, wo die ›Maschine‹ ihr Zeichen auf dem ›Datenband‹ hinterläßt …?« Die Mosaike, der er gesehen hatte, waren ein Ausbund der Komplexität. Keine zwei Reihen glichen sich auch nur annähernd.
    »Nein, keinesfalls«, sagte Karpal. »Wangs ursprüngliches Beispiel funktionierte exakt genauso wie eine Standard-Turing-Maschine, um das Argument zu vereinfachen … aber die Teppiche sind eher wie eine beliebige Anzahl unterschiedlicher, parallel arbeitender Computer mit sich überlappenden Daten. Wir haben es hier mit Biologie zu tun, nicht mit einer konstruierten Maschine. Das Ganze ist so chaotisch wie beispielsweise ein Säugetier-Genom. Allerdings gibt es mathematische Ähnlichkeiten mit der Genregulation: Ich konnte auf jedem Niveau Kauffman-Netzwerke identifizieren, vom Bauplan der Kacheln aufwärts. Das gesamte System balanciert auf dem hyperadaptiven Grat zwischen starrem und chaotischem Verhalten.«
    Paolo verarbeitete diese Thesen mit Hilfe der Bibliothek. Genauso wie das irdische Leben schienen auch die Teppiche eine Kombination aus Robustheit und Flexibilität entwickelt zu haben, die ihre Fähigkeit maximierte, die natürliche Selektion auszunutzen. Tausende von unterschiedlichen autokatalytischen chemischen Netzwerken mußten sich bald nach der Entstehung von Orpheus gebildet haben, doch als sich die ozeanische Chemie und das Klima im Verlauf der frühen traumatischen Jahrtausende im Wega-System veränderte, war die Fähigkeit, auf Selektionsdruck zu reagieren, von selbst ausselektiert worden, und die Teppiche waren das Resultat. Ihre Komplexität schien nach hundert Millionen Jahren relativer Stabilität redundant geworden zu sein, da keine Freßfeinde oder Konkurrenten in Sicht waren – aber das Erbe wurde bewahrt.
    »Wenn die Teppiche sich also zu Universalcomputern entwickelt haben … ohne daß noch ein echtes Bedürfnis besteht, auf ihre Umgebung zu reagieren … was machen sie dann mit all dieser Rechnerkapazität?«
    »Ich zeige es dir«, sagte Karpal ernst.
    Paolo folgte ihm in eine Landschaft, in der sie über dem Schema eines Teppichs schwebten, einer abstrakten Landschaft, die sich in weite Ferne erstreckte, wie das Original komplex gefältelt, doch ansonsten stark stilisiert. Jeder Polysaccharid-Baustein war als quadratische Kachel mit vier unterschiedlich gefärbten Seiten dargestellt. Die passenden Ränder der angrenzenden Kacheln waren komplementär gefärbt – um die Komplementarität zu repräsentieren, die ineinander passenden Teile des Puzzles.
    »Einer Gruppe von Mikrosonden ist es schließlich gelungen, ein komplettes Tochterfragment zu sequenzieren«, erklärte Karpal, »obwohl die genaue Beschaffenheit des Randes, mit dem sein Leben begann, größtenteils auf Vermutungen basiert, da das Ding weiterwuchs, während sie es auszumessen versuchten.« Er vollführte eine ungeduldige Geste, worauf all die Windungen und Falten als irrelevante Ablenkung geglättet wurden. Sie näherten sich einem Rand des zerfransten Teppichs, und Karpal startete die Simulation.
    Paolo beobachtete, wie sich das Mosaik von selbst erweiterte, wie sich die Kacheln nach den vorgegebenen Regeln ergänzten. Es war ein geordneter mathematischer Prozeß ohne zufällige Kollisionen zwischen Radikalen und Katalysatoren, ohne unpassende Ränder zwischen zwei neu gewachsenen ›Kacheln‹, die ihre gegenseitige Auflösung auslösten. Nur die Destillation der übergeordneten Konsequenzen all dieser zufälligen Bewegungen.
    Karpal führte Paolo zu einer Stelle, wo er die subtilen Webmuster verfolgen konnte, die sich überlappenden multiplizierten Periodizitäten, die über den wachsenden Rand wanderten, die sich begegneten und gelegentlich interagierten oder sich in manchen Fällen einfach gegenseitig durchdrangen. Mobile Pseudo-Attraktoren, quasi-stabile Wellenformen in einem eindimensionalen Universum. Die zweite Dimension des Teppichs war eher zeitlich als räumlich, eine permanente Aufzeichnung der Geschichte des Randes.
    Karpal schien seine Gedanken zu erraten. »Eindimensional. Schlimmer als Flachland. Keine Konnektivität, keine Komplexität. Was könnte wohl in einem derartigen System geschehen? Nichts von Interesse, nicht wahr?«
    Er klatschte in die Hände, und die Landschaft explodierte um Paolo herum. Farbige Schlieren wischten durch seine

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