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Diaspora

Diaspora

Titel: Diaspora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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wenig wie eine pflanzliche Zellwand, nur daß dieses Polymer viel stärker als Zellulose und die Oberfläche um das Zwanzigfache größer war.
    »Ich hoffe, daß diese Eintrittskapseln vollkommen steril waren«, sagte Karpal. »Irdische Bakterien würden sich daran sattfressen. Ein riesiges schwimmendes Abendessen aus Kohlehydraten ohne die geringsten Abwehrmechanismen.«
    Hermann dachte darüber nach. »Vielleicht wenn sie Enzyme hätten, die ein Stück davon abbrechen könnten – was ich bezweifle. Doch wir werden es niemals erfahren. Selbst wenn sich im Asteroidengürtel Bakteriensporen von früheren Expeditionen der Körperlichen gehalten haben, so wurde jedes Schiff der Diaspora unterwegs mehrfach auf Kontaminationen untersucht. Es ist ausgeschlossen, daß wir die Pocken nach Amerika eingeschleppt haben.«
    Paolo war immer noch benommen. »Aber wie wird es synthetisiert? Wie … wächst es?« Hermann konsultierte die Bibliothek und antwortete, bevor Paolo es selbst tun konnte.
    »Der Rand des Teppichs katalysiert sein Wachstum. Das Polymer ist unregelmäßig, aperiodisch – es gibt keine einzelnen Komponenten, die sich einfach wiederholen. Doch es scheint etwa zwanzigtausend elementare Struktureinheiten zu geben, zwanzigtausend unterschiedliche Polysaccharid-Bauklötze.« Paolo sah sie: lange Bündel aus verbundenen Ketten, die die gesamte Teppich-Dicke von zweihundert Mikrometern bildeten, jede mit einem ungefähr quadratischen Querschnitt, die an mehreren tausend Punkten mit den vier benachbarten Einheiten verbunden waren. »Selbst in dieser Tiefe ist der Ozean voller Radikale, die durch die UV-Strahlung gebildet werden und aus der Oberflächenregion herabrieseln. Jede Struktureinheit, die mit dem Wasser in Kontakt steht, konvertiert diese Radikale zu neuen Polysacchariden – und synthetisiert damit eine neue Struktureinheit.«
    Paolo griff erneut auf die Bibliothek zu, um sich eine Simulation des Prozesses anzusehen. Katalysemoleküle an den Rändern jeder Einheit fingen die Radikale ein, die lang genug waren, um neue Bindungen zwischen ihnen auszubilden. Einfache Zucker wurden während dieses Vorgangs direkt in das Polymer eingebaut, andere wurden freigesetzt, um für ein paar Mikrosekunden in der Lösung zu treiben, bis sie gebraucht wurden. Auf diesem Niveau waren nur ein paar grundlegende chemische Tricks nötig … aber die molekulare Evolution mußte sich von einfacheren Strukturen emporgearbeitet haben, von kleinen autokatalytischen Fragmenten, die sich zu Anfang zufällig bildeten, bis zu diesem ausgefeilten System aus zwanzigtausend, sich gegenseitig selbstreplizierenden Einheiten. Zu der Zeit, als die ›Struktureinheiten‹ als unabhängige Moleküle frei im Ozean trieben, wäre die ›Lebensform‹, die sie darstellten, praktisch unsichtbar gewesen. Durch die Verknüpfung jedoch wurden sie zu zwanzigtausend Farben in einem gigantischen Mosaik.
    Es war erstaunlich. Paolo hoffte, daß Elena die Bibliothek anzapfte, wo immer sie sich gerade befinden mochte. Eine Kolonie aus Algen wäre wesentlich fortschrittlichem gewesen – doch dieses unglaubliche Urgeschöpf offenbarte unendlich mehr über die Möglichkeiten der Lebensentstehung. Hier hatten die Kohlehydrate sämtliche biochemischen Rollen übernommen: als Informationsträger und als Enzym, als Energiequelle und als Baumaterial. Auf der Erde hätte nichts dergleichen überleben können, nachdem es Organismen gab, die sich davon ernährten – und falls jemals intelligentes Leben auf Orpheus entstand, wäre es nicht in der Lage, auch nur eine Spur dieses bizarren Vorfahren zu entdecken.
    Karpal hatte ein geheimnisvolles Lächeln aufgesetzt.
    »Was ist?« fragte Paolo.
    »Wang-Kacheln. Die Teppiche bestehen aus Wang-Kacheln.«
    Hermann hatte die Daten schon wieder schneller aus der Bibliothek abgerufen als er. »Wang wie der Mathematiker des zwanzigsten Jahrhunderts, Hao Wang. Und Kacheln im Sinne jeder Menge von Formen, mit der sich eine Ebene parkettieren läßt. Wang-Kacheln sind Flächen mit unterschiedlich geformten Rändern, die in komplementäre Formen angrenzender Flächen passen müssen. Man kann eine Ebene mit einer Menge von Wang-Kacheln ausfüllen, wenn man Schritt für Schritt die richtigen Formen benutzt. Oder im Fall der Teppiche, wenn man sie wachsen läßt.«
    Karpal sagte: »Wir sollten sie im Angedenken an Hao Wang ›Wang-Teppiche‹ nennen. Nach zweitausenddreihundert Jahren ist seine Mathematik zum Leben erwacht.«
    Paolo

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