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Dich schlafen sehen

Dich schlafen sehen

Titel: Dich schlafen sehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brasme
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umkrallte den Revolver... Der Hahn löste sich, ich berührte den Kolben... Ich schüttelte den Schweiß und Sonne ab. Ich begriff, dass ich das Gleichgewicht des Tages... zerstört hatte... Dann schoss ich noch viermal auf einen leblosen Körper, in den die Kugeln eindrangen, ohne dass man es sah.«
    Und dann am Schluss: »Als hätte dieser große Zorn mich von allem Übel gereinigt und mir alle Hoffnung genommen, wurde ich angesichts dieser Nacht voller Zeichen und Sterne zum ersten Mal empfänglich für die zärtliche Gleichgültigkeit der Welt.«
    Ich las diese Stelle ein paar Mal. Meursaults Schicksal war auch meines. Und diese Entdeckung öffnete mir gleichsam die Augen für eine bis dahin ungeahnte Wahrheit.
    Schließlich schaute ich auf. Ich hatte das Gefühl, dass viel Zeit vergangen war. Und dann entdeckte ich ihn. Er stand, ein paar Meter entfernt, reglos vor dem Regal für »Moderne Lyrik«. Maxime. Ich weiß nicht, warum, aber ich ließ mich dazu hinreißen, ihn anzusehen. Sein Gesicht wirkte starr, und da sich die dunklen Brauen über seinen Augen kräuselten, nahm ich an, dass er in das Buch vertieft war, das er in der Hand hielt.
    Dann bewegte er sich, und sofort flog sein Blick in meine Richtung. Mehr aus Reflex als aus Schüchternheit sah ich weg und wandte mich wieder meiner Lektüre zu. Ich tat so, als hätte ich ihn nicht bemerkt, und wartete darauf, dass er zu mir kam, denn ich wusste, dass er zu mir kommen würde.
    Er grüßte mich schüchtern.
    Ich sah ihn an, als sei ich überrascht. Er lächelte.
    »Was machst du denn hier?«, sagte er nach einem kurzen, sehr peinlichen Schweigen. »Ich wusste nicht, dass du in diese Buchhandlung gehst.«
    Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Er beugte sich zu mir herüber. Sein Blick war sanft, fast beruhigend.
    »Was liest du denn da?«
    »
Der Fremde.
Seit wir im Unterricht darüber gesprochen haben, möchte ich es mir kaufen.«
    »Ich habe für den Roman geschwärmt. Der Stil ist zwar ziemlich trocken, aber du wirst sehen, die Geschichte ist wirklich ergreifend. Ich kann ihn dir wärmstens empfehlen.«
    »Und du, was nimmst du?«, brummelte ich und blickte auf das Buch in seiner Hand.
    »Na ja, ich interessiere mich für eine Gedichtsammlung. Jean Tardieu. Ich weiß nicht, ob du ihn kennst...«
    »Vage. Aber ich wusste gar nicht, dass du solche Bücher liest.«
    Er senkte den Blick und deutete ein schüchternes Lächeln an. Er hatte fast etwas Rührendes.
    »Doch«, antwortete er. »Ab und zu. Aber wenn du Lust hast, können wir irgendwo darüber reden... Hast du nachher schon was vor?«
    »Ich weiß nicht, nichts Bestimmtes. Ich wollte eigentlich nach Hause gehen. Wieso?«
    »Na ja (leichtes Zögern), hättest du vielleicht Lust, etwas trinken zu gehen? Ich kenne ganz in der Nähe ein nettes Café.«
    Ich kam gar nicht erst dazu, zu zögern oder abzulehnen. Aus irgendeinem Grund, der mir schleierhaft war, hatte ich angenommen.
    Ich bezahlte meine beiden Bücher, dann verließen wir den Buchladen. Ich verriet Maxime nicht den wahren Grund, warum ich mich für die
Psychologische Studie über Mord aus Fanatismus
entschieden hatte. Draußen schien es milder geworden zu sein. Schweigend gingen wir in ein Café in der Rue de l'Harmonie. Wir setzten uns an einen kleinen Tisch in der Ecke. Er hängte seinen schwarzen Caban, von dem noch der Regen perlte, über die Stuhllehne. Ich bestellte eine heiße Schokolade, er nahm einen Espresso und bestand darauf, mich einzuladen. Einen Augenblick lang saßen wir schweigend da und blickten durchs Fenster auf die leere Straße.
    Zuerst zündete er sich eine Zigarette an. Ich beobachtete ihn, ich betrachtete seine Finger, lang und dünn, zart und zerbrechlich, Finger, die zu ihm passten. Sarah sagte, dass man einen Menschen nur an seinen Fingern erkennen könne: seine waren schön, weiß und sauber. Maxime hatte Künstlerhände, Schriftstellerhände. Vom ersten Augenblick an vermutete ich bei ihm eine Art von Sanftheit, die den anderen Jungen fehlte.
    Er rauchte. Rauchwolken bildeten sich zwischen uns. Seine ganze Haltung dabei verlieh ihm etwas Elegantes und Vergeistigtes. Ich betrachtete seine schön geformten Lippen, seine sehr gerade und sehr kurze Nase, die in zwei kleinen, kaum sichtbaren Nasenlöchern endete. Und schließlich seine Augen, verschleiert hinter den Gläsern seiner Brille, die ihm, wie ich sagen muss, einen gewissen Charme verlieh. Ich wollte diesen Blick nicht sofort ergründen. Zunächst zog

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