Dichterliebe: Roman (German Edition)
Lektoren, die jeweils nur fünfzehn Autoren zu betreuen hatten, von denen jeder alle zwei Jahre ein Buch schrieb. Die Lektoren begleiteten die Autoren zu Lesungen, brachten ihnen Blumen ans Krankenbett, hörten sich ihre Sorgen an. Jetzt sind sie überlastet und unwirsch. Eine Lektorin hat fünfzig Autoren am Hals, kümmern kann man das nicht nennen, abgesehen davon, daß Westlektoren ohnehin schwach in Orthographie sind …« Man schmunzelt. Man seufzt. Eine gelähmte Solidarität breitet sich aus, kein Funke Revolution, eher wehmütige Selbstgerechtigkeit, in der man, unter seinesgleichen, sich ein bißchen gehenlassen kann.
In der Kaffeepause raunen sie über den Kollegen Kostja Schmidt, der gestern als IM enttarnt wurde. Kollege Rassel hat es in der Zeitung gelesen. Deshalb fehlt Schmidt heute, er hatte kommen wollen. Wo mag er sein? Vertrieben, verreist, abgetaucht, erhängt? Wie geht man damit um? Solidarisieren, kondolieren, ignorieren? Ich spüre fast körperlich das Hauptlaster der Schriftsteller, die Feigheit. Kannst dich begraben lassen, Schmidt, denke ich, von denen hörst du keinen Mucks. Sie seufzen. Sie tuscheln. Wann ist der nächste dran? Wer wird es sein? Wohin sich retten? Auf einmal begreife ich, warum sie mich hier dulden. Einer sagt zu mir: » Ich weiß, als P.E.N. -Mitglied hast du dich immer überlegen gefühlt.«
» Wieso?«
» Na, ihr wart ja die Elitekünstler, die Moralisten …«
Ich wiegle ab. Schon zieht er zwei Bücher aus der Aktentasche und bittet mich, ihn dem P.E.N. vorzuschlagen. Ich bin froh, als das Ende der Pause ausgerufen wird.
In der Versammlung wird über Kostja Schmidt nicht gesprochen. Themen sind wieder Druck, Verlag, Verdienst. Zwei der alten Genossen haben, von welchem Geld auch immer, einen Verlag gegründet. Die werden umschmeichelt. Sinn dieser Notgemeinschaft ist Publizieren um jeden Preis. Wer kann es ihnen verdenken? Ein Fisch, der nicht schwimmt, ist kein Fisch, ein Autor, der nicht schreibt, ein Nichts.
Später liest eine seinerzeit linientreue Romancière namens Taubenfeld einen Text vor, den sie kühn Novelle nennt. Handlung: Eine Frau wird von der Härte der kapitalistischen Welt auf den Strich getrieben. Erzählt wird aus der Sicht des Sohnes. Der Knabe beobachtet, wie Mutti, die zunächst nur an der Tankstelle arbeitete, anfängt, spätabends Männer zu empfangen … am Ende erhängt er sich hinter der Datsche am Apfelbaum. Das Ganze literarisch ohnmächtig, laienhafter Sozialkitsch, einer Autorenrunde eigentlich nicht zuzumuten. Alle müßten aufschreien, aber nein, sie lauschen mit demonstrativer Leidenschaft.
Ich meinerseits horche leidenschaftlich auf ein Lebenszeichen des Faxgeräts und schreibe, während die Kollegen schimpfen, auf meinem Briefblock an Sidonie: Ich kann die Kollegen verstehen. Früher behaupteten wir unsere Wahrnehmung, wir boten die lautere Deutung im Gegensatz zur ideologischen etwa der Presse. Allein das Gedicht als solches war ein subversiver Akt. Die Stasi las gebundene Sprache als Code, und so bedeutete schon die Gebundenheit fürs Publikum Aufklärung und Unabhängigkeit. Jetzt ist es umgekehrt. Gedichte gelten nichts mehr, und unsere Prosa ist ideologischer als die der Presse. Ideologie ist aber der Tod der Literatur. Du würdest sofort merken, daß diese Taubenfeld-Novelle pures Handwerk ist, Unterhaltung zwischen Harry Thürk und Johanna Spyri. Klar, die Leute mögen das, vielleicht, weil sie die Versatzstücke wiedererkennen. Äußerlich stimmt es ja auch, nur die innere Wahrheit fehlt. Es ist wie im Försterroman: den Förster gibt’s natürlich, der mit dem Dackel loszieht, und die Pipe brennt, und den Hirsch schießt er auch …
In diesem Augenblick betritt der Lektor Grüneis den Raum. Ein dünnhaariger, weichgliedriger Mensch mit tausend feinen Fältchen im Gesicht und einer zärtlichen Stimme, dabei von bedeutendem Auftreten. Während er auf Wildlederschuhen um das Hufeisen aus Tischen schleicht und jedem die Hand drückt, erstirbt die Diskussion, alle schauen auf ihn, der weiterschleicht, als merke er es nicht. Jetzt steht er hinter mir und flüstert, indem er sich über meine Schulter zum Block auf meinem Tisch hinabbeugt: » Na Henry, schreibste jetzt Romane?«
*
Auch auf dieses Fax keine Antwort. Als alle Schriftsteller abgereist sind, halte ich’s in der Burg nicht mehr aus. Und draußen an den Teichen schenkt mir der Abend noch eine Überraschung.
Sidonie, auf dem Weg zur Kneipe spürte ich im Fuß
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