Dicke Hose (German Edition)
der Makler, der vorhin bei Ihnen war.»
Am anderen Ende wird gekichert. «Natürlich erinnere ich mich an Sie. Man trifft ja nicht alle Tage einen Mann, der sich zur Arbeit in Versace kleidet.»
«Äh …» Die Möhre schafft es erneut, mich aus dem Konzept zu bringen.
«Wollen Sie uns etwa schon wieder einen bierbäuchigen Neureichen vorbeischicken? Nur zu! Dann haben mein Mann und ich wenigstens etwas Abwechslung.»
Ich muss grinsen, gehe aber nicht weiter auf ihren Kommentar ein. «Ehrlich gesagt, Frau Lembke, rufe ich in einer anderen Angelegenheit an.»
«Oh, na dann schießen Sie mal los, junger Mann.» Sie klingt neugierig.
Ich hole einmal tief Luft und bete, dass sie nicht gleich wieder auflegt. «Eigentlich habe ich nur eine Frage: Die Fliesen bei Ihnen im Garten und auch in der Küche – hat die zufällig Ihr Mann verlegt?»
Die Möhre schnauft erbost. «Machen Sie Witze?»
Mir rutscht das Herz in die Hose. «Nein, ich …»
«Natürlich war das Bruno. So exakt arbeitet sonst niemand, den ich kenne.»
* * *
Fünf Minuten später stehe ich wieder oben im Verkaufsraum. Trotz des Trubels sehe ich Victoria sofort. Sie kämpft wie eine Löwin, um den Laden reibungslos am Laufen zu halten. Zeitgleich berät sie eine Dame beim Schuhekauf, eine weitere bei den Handtaschen und hilft wiederum einer anderen dabei, den Reißverschluss am Rücken ihres Kleides zu schließen.
Als sich unsere Blicke treffen, muss ich feststellen, dass mir leider noch immer Wut und Hass entgegenschlagen. Aber auch Unsicherheit und verletzter Stolz. Wie gerne würde ich ihr mit meinen Augen vermitteln, dass jetzt alles gut wird. Dass die Sache mit Tanja ein großes Missverständnis war und dass ich einen guten Kern und ein noch besseres Herz habe. Doch längst hat sich Victoria wieder ihren drei Kundinnen zugewandt.
Einen kurzen Moment liebäugele ich damit, die Henning-Baum-Variante auch ohne vorheriges Koma, Fluppe und Lederjacke durchzuziehen. Ich könnte jetzt einfach zu Victoria gehen, sie küssen und im Anschluss auf Händen diesem Irrenhaus entreißen. Doch ich käme vermutlich gar nicht zu ihr durch.
Im Laden ist es brechend voll. Viele der umherschwirrenden Kundinnen wollen das gewickelte Kleid mit dem Schlitz und der Fransenkante. Andere wurden durch den ausführlichen Bericht über die Gala im Hotel Atlantik und die damit verbundene Werbung für Miucci angelockt. Ein weiteres Mal bin ich erstaunt, was ein Foto auslösen kann.
Kai hat alle Hände voll damit zu tun, neue Ware aus dem Lager zu holen, Bizzelwasser aufzufüllen und nebenbei Vorbestellungen entgegenzunehmen. Geht das Kleid – meine Kreation! – also tatsächlich in Produktion?
Unschlüssig trete ich von einem Bein aufs andere, dann atme ich einmal tief durch und stürze ich mich in die Höhle der Löwinnen. Ich ignoriere Victorias berühmtes Stirnrunzeln, stelle mich hinter den Verkaufstresen und setze ein Lächeln auf, das, wie ich erstaunt feststelle, von Herzen kommt. Ich straffe die Schultern und liefere mich der kaufwütigen Meute aus.
«Junger Mann», wendet sich sogleich eine Kundin an mich. «Bedienen Sie hier? Haben Sie die Marcie auch in Pink? Das ist doch jetzt in .»
Ich drehe mich zum Regal und greife mir das Modell, das dort steht. Im Geiste versuche ich mich an all die komischen Ausdrücke und Farben zu erinnern, die Kai und Victoria in den letzten Tagen benutzt haben.
«Nein, Pink ist totally last-season , Madame. Wir haben zurzeit nur Schlamm und Ash. Aber das hat natürlich einen Grund …» Ich mache eine Pause und überlege, welcher das sein könnte.
«Ach ja? Und welcher ist das?»
Mist, war ja klar, dass es Nachfragen geben würde. «Äh … Im kommenden Sommer sind noch einmal Powerfarben angesagt. Aber nur bei der Kleidung. Die Accessoires nehmen sich etwas zurück. Weil … äh … Pink das neue Schwarz ist und Schlamm das neue Pink.» Oder war es andersherum? Habe ich mich da jetzt vielleicht etwas verheddert? Ich meine, wenn Pink das neue Schwarz ist, bedeutet das dann, dass im nächsten Sommer kein Schwarz getragen wird? War das jetzt vielleicht ein bisschen zu kreativ?
Leicht verunsichert blicke ich mich um. Nein, das war aufdringlich, ohne dass ich mich aufgedrängt hätte. Ich glaube, so langsam verstehe ich Kais Verkaufsprinzipien. Denn acht Augenpaare starren mich ehrfürchtig an. Eines davon gehört Victoria, der außerdem noch der Mund offen steht. Schon ist die Traube, die sich um sie gebildet hatte,
Weitere Kostenlose Bücher