Dicke Hose (German Edition)
angesichts der Tatsache, dass dieser Laden ja wohl kaum ihr Verdienst ist, eigenartig finde.
«Wenn nichts präsentiert werden muss, nutzen wir die Fläche als Büro. Und, wie man sieht, auch ein bisschen als Lager.»
Also, falls sie die vielen Klamotten meint, die hier rumstehen, hätte ich da eine Idee: eBay …
«Normalerweise ist es hier nicht derart unordentlich», entschuldigt sich Victoria «aber seitdem drei Kollegen ausgefallen sind, kommen wir mit dem Aufräumen und dem Auffüllen der Ware kaum mehr hinterher. Nebenan stapeln sich die Kartons bereits bis zur Decke, deshalb mussten wir hierhin ausweichen.»
Wie zum Beweis durchquert sie den Raum und öffnet eine als Spiegel getarnte Tür zwischen den Umkleiden. Ich erhasche einen kurzen Blick auf das Chaos, ehe Victoria die Tür verschämt wieder schließt. Sie deutet auf die kilometerlange Kleiderstange.
«Dort links hängt die Versace-Musterkollektion. Es sind Teile, die wir zur Ansicht bekommen haben und die wir später, sobald die gesamte Kollektion erhältlich ist, tragen dürfen, wenn wir möchten. Aus Werbegründen ist das in den entsprechenden Designer-Wochen natürlich unerlässlich.» Sie deutet kurz an sich herunter. «Das hier ist zum Beispiel von Versace.»
Ich versuche, nicht so genau hinzugucken. Unter keinen Umständen möchte ich, dass mir wieder so heiß wird. Heute bin ich konditionell eindeutig nicht gut drauf. Zumal mir vor Hunger regelrecht schlecht ist und ich außerdem unter einem amtlichen Nachdurst leide. Wäre toll, wenn sie jetzt mal zur Sache kommen könnte, damit ich eine Mittagspause einlegen und nebenbei eine Handvoll Kopfschmerztabletten einwerfen kann. Mehr muss ich vom Keller ja nun wirklich nicht wissen.
«Durch diese Tür», Victoria deutet auf einen weiteren Spiegel mit Griff, «gelangt man in das Treppenhaus zwischen diesem und dem Nachbarhaus. Von dort wird die Ware angeliefert und hier zwischengelagert, bis wir alles gesichtet und geordnet haben. Dann beginnen wir möglichst zeitnah mit dem Einsortieren.»
Ich unterdrücke ein Gähnen. Wie kann man sich nur so in Details verlieren? Wie sich zeigt, stellen Frauen nicht nur irrelevante Fragen, sie geben auch noch ausführliche, uninteressante Erklärungen ab. Zu der Frage, wann hier beispielsweise Feierabend ist und wo man mittags ordentlich essen kann, kommt sie wahrscheinlich erst am Ende der zehn Tage.
«Nach oben gelangt man mit diesem Fahrstuhl», macht Victoria gnadenlos weiter mit der Kellershow, «er führt in den hinteren Verkaufsraum, von wo aus …»
Ab hier blende ich mich aus. Was geht mich das alles an? Ich bleibe doch nur ein paar Tage. Außerdem springe ich hier als Top-Verkäufer ein, nicht als Lagerist oder Kartonstapler.
«… ab und zu präsentieren wir im Haus eine richtige Modenschau. Mit geladenen Gästen, Presse und so weiter. Dann müssen sich die Models hier unten umziehen», sagt Victoria, und ich werde kurz wieder wach. Weil Männer nun mal beim Wort Model hellhörig werden. Das ist genetisch bedingt.
«… deshalb die beiden Umkleidekabinen.» Meine selbsternannte Chefin schiebt einen der lila Samtvorhänge zur Seite. «Heute kannst du hier schnell das Outfit wechseln. Möchtest du lieber etwas aus der Frühlings- oder der Sommerkollektion tragen?»
«Äh … Aber wir haben Winter!»
«Ganz genau. Deshalb verkaufen wir ja auch bereits die Kollektion für das nächste Frühjahr und den nächsten Sommer.»
«Echt? Krass.»
Ich ernte einen schiefen Blick. «Sag bloß, bei Prada lief das anders?»
«Äh … na ja … ich war da ja normalerweise mehr für … Events zuständig.»
Eine von Victorias Augenbrauen hebt sich. Vermutlich ein Zeichen ihrer Anerkennung. «Scheint so, als habe es viele davon gegeben.»
Ich verstehe nicht so recht, was sie mir damit sagen möchte. Muss ich aber auch gar nicht, denn sie ist bereits bei der nächsten Überlegung: «Ich würde dir die Sommerkollektion vorschlagen. Bevorzugst du eine besondere Farbe? Gelb oder Pink?»
«Tja …» Schwarz. Dunkelbraun. Dunkelblau …
«Kai ist farblich leider nicht so mutig. Aber Männer mit italienischen Wurzeln, wie du, gehen mit Farben ja ohnehin viel souveräner um. Und als Sohn des Hauses weißt du natürlich, wie wichtig diese verkaufsfördernde Maßnahme ist.»
«Na-natürlich.»
«Dann hast du sicher nichts gegen den Sorbet-Trend einzuwenden?»
Sorbet-Trend? Klingt verlockend, ist aber bestimmt eine Falle. «Tja, also ich würde
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