Dicke Hose (German Edition)
Ich meine, ich stehe mit offener, kanarienvogelfarbener Hose, uringelbem Hemd und einer Alkoholfahne, die auf Kleinkinder und Haustiere mit Sicherheit toxisch wirken würde, vor einer Frau. Einer sehr hübschen Frau. Außerdem bin ich unrasiert und Brusthaar-Minimalist. Das sagt wohl alles.
«Siehst du, passt doch wunderbar!» Victoria ist beim vorletzten Knopf angelangt und blickt hoch. Vermutlich, um zu sehen, ob ich mich darüber freue, ab sofort optisch in einer Liga mit einer Gummiente zu spielen.
Einen Moment sehen wir uns in die Augen. Wir stehen so dicht voreinander, dass ich dunkle Punkte in ihrer bernsteinfarbenen Iris ausmachen kann. Außerdem entdecke ich Sommersprossen auf ihrer Nase, die sie versucht hat, durch eine dünne Schicht Make-up zu verdecken. Ihr Haar und überhaupt alles an ihr duftet unaufdringlich, aber gut. So gut, dass ich am liebsten meine Nase darin vergraben möchte. Kein Hauch orientalisches Hammelfleischgewürz weht darin. Wenn ich mich festlegen müsste, würde ich sagen: Sommerwiese light.
Die erste Hitzewallung trifft mich vollkommen überraschend. Sie schlägt hauptsächlich unterhalb der Gürtellinie ein. Erfreulicherweise habe ich die Hose inzwischen geschlossen. Die zweite Welle hat nichts mehr mit Victoria zu tun. Sie knockt mich aus, da ich seit schätzungsweise fünf Minuten die Luft anhalte und mir nun langsam der Sauerstoff ausgeht.
«Ist alles okay?», fragt sie besorgt und nestelt am letzten Knopf herum.
Ich schweige beharrlich. Erst als sie ihre Finger von meinem Oberkörper nimmt, drehe ich mich um und japse nach Luft. Keine Sekunde zu spät, aber dennoch ein Fehler. Denn nun blicke ich direkt in den mannshohen Spiegel der Kabine und kann das ganze Ausmaß der Wer-sagt’s-denn-Woche – oder wie die noch mal hieß – begutachten. Es ist, gelinde gesagt, ein Desaster.
«Steht dir super!», freut sich die Queen des schlechten Geschmacks und hält mir zu allem Überfluss nun auch noch das quietschgelbe Sakko hin. «Gefällt es dir?»
So gut wie eine eitrige Wunde.
«Total», sage ich matt und streife das Oberteil über. Das Einzige, was an diesem Anzug super ist, ist die Tatsache, dass ich ihn in fünf Stunden wieder ausziehen kann. Den Quatsch kauft definitiv kein Mensch. Jedenfalls keiner, der im Vollbesitz seines Augenlichts ist.
Victoria reicht mir eine beigefarbene Krawatte. Mein Glück. Wäre das Ding schwarz, würde man mich vermutlich für einen Atomkraftaktivisten halten.
«Deine Outfits für den Rest der Woche habe ich mit Kais Anzügen abgestimmt und dir der Reihe nach dort auf die Kleiderstange gehängt.» Victoria deutet auf die rechte Wand. «Freitags ist hier immer Dress-down-Day, da geht unser Kleidungsstil etwas mehr in Richtung easy-casual. Mit kurzen Hosen und so.» Sie lächelt.
Ich nicht. Kurze Hosen? Im Dezember? Tickt die noch ganz richtig? Ich möchte wirklich nicht wissen, was mich morgen erwartet. Eine Grippe vermutlich, denn ich trage ja gerade die Sommerkollektion.
Sobald sich die Gelegenheit ergibt, werde ich mich bei Florian beschweren.
«Hier hast du noch passende Schuhe.» Victoria drückt mir einen Karton in die Hand. «43, oder?», fragt sie, und ich nicke mechanisch. «Dachte ich es mir doch.» Zufrieden wendet sie sich ab. «Ich gehe schon mal hoch. Bitte beeil dich, damit wir oben mit der Einführung weitermachen können.»
«Und … äh, wann ist hier Mittagspause? Also, nicht, dass ich dringend eine bräuchte, wir haben ja noch gar nicht richtig losgelegt, aber …»
«Ja, du hast vollkommen recht. Wir sollten wirklich schleunigst mit der Arbeit beginnen. Wenn du also wirklich keine Pause brauchst …?» Ein fast flehender Blick trifft mich.
«K-keineswegs. Ich bin pausenloses Arbeiten gewohnt.»
«Prima. Dann bis gleich.»
Mit diesen Worten verlässt Victoria den Raum. Hypnotisiert starre ich einen Moment auf ihren Hintern. Warum noch mal wollte ich nicht mit ihr ausgehen?
Fünf Minuten später weiß ich es wieder: weil sie eine Diva ist! Und ich habe den Beweis. Und zwar einen, der schwerer wiegt, als ihre bloße Vorliebe für Pink.
Der Beweis steht direkt vor meiner Nase, neben dem Karton mit den ach so passenden Schuhen, den ich sicherheitshalber erst mal ungeöffnet auf dem Schreibtisch deponiert habe. Gut, wenn man es genau nimmt, steht das divenüberführende Beweisstück nicht exakt neben dem Schuhkarton, sondern eher etwas darunter. Eingekeilt zwischen Schubladenschrank und Papierkorb. Halbherzig
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