Dicke Hose (German Edition)
mein langer Wintermantel den Lawrence-von-Sumatra-Anzug fast gänzlich verdeckt.
«Wissen Sie, Herr Held, ich wohne zurzeit noch in Stuttgart, beabsichtige aber, so bald es geht, nach Hamburg zu ziehen», beginnt die geliftete Carla bereits bei Stockwerk vier mich vollzuquatschen. «Diese Stadt und ihre bunten Einwohner sind so unglaublich inspirativ.»
Bunte Einwohner? Hat die doch etwas von meinem Anzug durchblitzen sehen? Aber gut. Wenn ein farbenfrohes Hosenbein sie inspiriert und am Ende dazu verleitet, diese Wohnung zu kaufen, soll mir jeder Kommentar recht sein.
Oben angekommen muss ich allerdings feststellen, dass die Sache schwieriger wird als zunächst angenommen. Denn dieses Apartment ist möbliert. Nichts Außergewöhnliches im oberen Preissegment und auch nichts, das sich nicht durch einen Anruf beim Sperrmüll ändern ließe. Aber nach einem Schnelldurchgang durch die Räume erinnere ich mich, das der wahre Knackpunkt dieser Wohnung ein anderer war. Zwei geräumige, stilvoll eingerichtete Zimmer, ein Bad mit Wellnesswanne (o Gott, ich muss Tanja anrufen und sagen, dass ich später komme!) und ein Gäste-WC sollen geschickt davon ablenken, dass hier ein Zimmer fehlt: die Küche. Kein Herdanschluss, keine Abzugshaube, nicht einmal ein Rest Kacheln oder Ähnliches ist erkennbar. Erst jetzt dämmert mir wieder, dass mein Chef so etwas andeutete. Aber wer zum Henker lebt in einer Wohnung ohne Küche?
Natürlich lässt sich nachträglich so ziemlich alles richten. Selbst in einem Dixi-Klo könnte man vermutlich eine Kochzeile einbauen und umgekehrt. Doch zunächst einmal verunsichert eine solche Tatsache den Kunden erfahrungsgemäß.
«Ja, doch sehr ansprechend», sagt das Carla-Double bereits im Flur und klingt bislang noch kein bisschen irritiert. «Wirklich – ein Traum!»
Eher ein Albtraum, würde ich sagen. Viel zu langsam schlendert sie von Zimmer zu Zimmer und begutachtet fachmännisch in jedem Raum den Ausblick.
Genervt blicke ich auf meine Armbanduhr. Wenn das hier in diesem Schneckentempo weitergeht, wird Carmen Grünewald vermutlich vor Ungeduld den Taxifahrer mit einem der Bänder ihres Kleids erwürgen.
«Sie müssen wissen», mischt sich jetzt Sarkozy ein und deutet auf seine Begleiterin, «sie ist Malerin und sucht ein Atelier.»
Verstehe, sie soll hier gar nicht einziehen, sondern nur ein bisschen den Pinsel schwingen. Frage wenig und erfahre viel!
«Oh, dann sind diese Räume wie geschafften für Sie», erkläre ich begeistert. Mir bleiben noch 12 Minuten. «Der Blick auf den Hafen und vor allem auf die Elbphilharmonie ist unvergleichlich … inspirierend für eine … äh, Künstlerin. Außerdem ist hier bei jedem Wetter und zu beinahe jeder Uhrzeit Tageslicht vorhanden. Perfekte Voraussetzungen zum Malen.»
Ich bin mir zwar nicht sicher, ob sie der Ausblick auf die derzeit wolkenverhangene Stadt über das Fehlen einer Küche hinwegtrösten wird, aber vielleicht bemerkt Carla das in ihrer Euphorie gar nicht? Da wäre das Fehlen einer Toilette sicher gravierender.
«Nun, meine Schöne, genau so hast du es dir vorgestellt, nicht wahr?» Der kleine Nick küsst seiner Carla kurz die Stirn. Geübt stellt er sich dabei kurz auf die Zehenspitzen und wippt gleich darauf wieder zurück. «Hier kannst du dir jeden Tag ein neues Motiv suchen, ohne dafür das Haus verlassen zu müssen! Und diese Adresse ist für Ausstellungen wirklich wunderbar repräsentativ.»
«Meinst du?», fragt die Künstlerin und wirft ihre braunen, langen Haare über die Schulter.
«Aber natürlich!», platze ich ins Gespräch und halte anschließend die Luft an. Sollte dies tatsächlich mein Glückstag sein?
Selbstverständlich werden die beiden nicht gleich heute den Vertrag unterschreiben, das ist mir schon klar. Zumal ihnen von jetzt an nur noch exakt acht Minuten für weitere Fragen bleiben. Aber vielleicht schaffe ich es, ihnen schon mal eine Willensbekundung zu entlocken? Die Begutachtung aller Unterlagen und den ganzen Rest könnten wir dann bei einer zweiten Besichtigung in der nächsten Woche erledigen. Dann wäre mir ein Platz auf einem der mittleren Plätze des Scores sicher!
Gerade als ich ein weiteres Treffen vorschlagen will, klingelt es an der Haustür.
Irritiert blicke ich zu dem Interessentenpaar. «Erwarten Sie noch jemanden?»
Beide schütteln den Kopf. Ich gehe zur Tür und sehe auf dem Überwachungsmonitor, der die Haustür im Erdgeschoss zeigt, nur den Kühler des Grünewald’schen
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