Dicke Hose (German Edition)
ignoriere Victorias Drängen. «Um 14 Uhr? Natürlich mache ich das», gebe ich fröhlicher zurück, als mir zumute ist, und überlege gleichzeitig krampfhaft, wie ich das Gespräch am Laufen halten kann.
Doch Friedrich von Klatt hat bereits aufgelegt.
Gestenreich spreche ich weiter mit dem stummen Apparat. «Nein, nein, Papa , sei unbesorgt, hier läuft alles super. Victoria und ich haben alles im Griff. Reg dich bitte nicht auf, denk lieber an dein krankes Herz.» Ich mache eine Pause und runzele konzentriert die Stirn. «Das Foto im Internet? Ja, das war eine Notlösung. Du kennst doch unsere Kunden. Die wollte unbedingt Mussorgski tragen, aber wir hatten in ihrer Größe nur noch diesen zeltartigen Lappen. Ich musste sie dort quasi hineinschneidern.» Zu Victoria gewandt schüttele ich mit dem Kopf. «Ja, die Grünewald hat dem Reporter einfach irgendeinen Stuss erzählt. Wir machen natürlich das Beste draus, kennst uns ja … Wie bitte?» Kurz nehme ich das stumme Handy vom Ohr, starre es an und mache ein filmreifes Die-Verbindung-ist-schlecht-Gesicht. Dann fällt mir noch etwas ein. Als könnte ich ihn plötzlich wieder hören, hebe ich den Zeigefinger und sage: «Nein, sei unbesorgt, Victoria klärt das mit den Kollegen in Italien. Du brauchst dich um nichts zu kümmern.» Ich sehe Victoria fest in die Augen. «Verstehe …», sage ich und nicke mehrmals versonnen. «Nein, kein Problem. Du kannst zwei Tage im Meeting verschwinden, wir werden dich auf keinen Fall stören … Nein, hier ist alles klar … Ja, ich grüße alle, auch Flo. Mach’s gut, äh … Papa , war schön, dass du dich mal gemeldet hast!»
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18. Kapitel
Gegen 14:15 Uhr schleiche ich durch die überraschend leeren Räume von Hambitare Immobilien, um den Schlüssel für das Objekt und ein fertiges Exposé zu holen. Friedrich von Klatt hat nicht übertrieben. Die Belegschaft ist bis auf die Sekretärin, zwei Kollegen, die ich kaum kenne, und eine neue Praktikantin tatsächlich krank. Vermutlich hat Marcel hier mit seinem Klingonenfleisch eine Epidemie ausgelöst.
Aber mir soll es recht sein. Je weniger Kollegen mich heute zu sehen bekommen, umso besser. Es ist ohnehin ein Wunder, dass ich es überhaupt bis hierhin geschafft habe.
Irgendwann nach Entdeckung des zerhackten Häkellappens und meiner Ankündigung, im Auftrage meines Vaters um 14 Uhr kurz für eine Stunde den Laden verlassen zu müssen, hielt mir Victoria stumm und mit einem Anflug von Mordlust im Gesicht den Anzug des Tages unter die Nase. Gleich darauf verschwand sie wieder. Vermutlich fürchtete sie, ich würde noch mehr Intimitäten in Gegenwart Dritter ausplaudern. Dabei wäre ein klärendes Gespräch natürlich die beste Lösung gewesen. Doch Victoria entschied sich vorerst für den Weg, den Frauen gerne gehen: Rache.
In diesem Fall war es eine besonders niederträchtige Form der Vergeltung: eine weiteres Stück aus der Versace-Gruselkollektion. Aber klar: Ich hatte ihr bezüglich des Grünewald’schen Kleides nicht die Wahrheit gesagt, ihr nicht die Möglichkeit gegeben, mit ihrem Chef persönlich zu sprechen, und war darüber hinaus auch noch indiskret gewesen. Das musste in ihren Augen bestraft werden.
Ich sah die Sache natürlich ein bisschen anders. Schließlich hatte ich in allen drei Fällen in Notwehr gehandelt und mir deshalb eigentlich auch nichts vorzuwerfen. Als Antwort wählte ich deshalb die stumme Form der Verteidigung: Ich stieg, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, in mein Outfit des Tages. Schlimm genug, dass der gestrige Abend für Victoria offenbar nicht mehr zählte – ihre Schadenfreude hätte ich nicht auch noch ertragen wollen.
Selbst ein Blick in den Spiegel änderte nichts an meinem heroischen Vorhaben, allerdings ließ mich der Anblick prophylaktisch zu einer Aspirin greifen. Viva Las Vegas! Das war das Erste, was mir zu dem Anzug spontan durch den Kopf schoss. Denn Las Vegas ist mit Sicherheit der einzige Ort auf der Welt, an dem man mit einer enggeschnittenen, lachsfarbenen Hose mit Strassapplikationen am Bund nicht verhaftet wird. Zumal das Pendant zu der Hose ein dunkelgrünes Sakko ist, auf dem sich das volle Ausmaß der Scheußlichkeit erst auf der Rückseite offenbart: Strass und Nieten in Hülle und Fülle. Von hinten betrachtet blinke und funkele ich, als stünde der Anzug unter Strom.
Auf leisen Sohlen und mit hochgeschlossenem Wintermantel schleiche ich jetzt also schwitzend an Friedrich von
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