Dicke Hose (German Edition)
Klatts Büro vorbei. Was für ein Glück, dass er nicht anwesend ist. Das erspart mir, ihm einen lückenlosen Bericht der gestrigen Besichtigung und Details über den erfundenen Kaufinteressenten zu liefern. Über beides muss ich mir selbst erst noch Gedanken machen.
Auf meinem Schreibtisch finde ich Exposé und Schlüsselbund zu dem Objekt sowie Angaben zu den Kaufinteressenten, ein Ehepaar Mitte fünfzig. Bevor ich ihre Telefonnummer und auch die der Eigentümer in mein Handy eingebe, reiße ich mir den dicken Mantel vom Leib. Mit den schwitzenden Fingern könnte es sonst schwierig werden.
«Alex?»
Ich wirbele herum – und erstarre. Vor mir steht, kerngesund und klingonisch grinsend: Marcel.
«Dachte ich es mir doch!»
«WAS dachtest du dir?» Wehe, er fängt jetzt mit der Schwulennummer an!
«Dass ich dich gesehen habe. Neulich. Im Schaufenster von Miucci.»
«Das war nicht das Schaufenster, das war das Foyer!» Kennt eigentlich jeder in Hamburg diesen verfickten Laden?
Neugierig begutachtet er meinen Glitzeranzug. «Versace, nicht wahr?»
Na, Hauptsache, er drückt mir jetzt keine feuchten Küsse ins Gesicht, wie meine Tanten auf Bettinas Konfirmation.
Unbeirrt fährt er fort: «Ich habe mich bei dem Anzug ehrlich gesagt gefragt, wer außer Elvis sich wohl trauen würde, mit diesem Teil auf die Straße zu gehen.»
Pah! Es wundert mich eigentlich, dass er diese leberwurstfarbene Glitter-Kombi nicht gut findet. Marcel mit seinem Weltraumgeschmack hätte nämlich wirklich prima in die Achtziger gepasst. Dann wäre er mit Sicherheit Sänger geworden und gemeinsam mit Modern Talking in ballonseidenen Trainingsanzügen über die Bühne gehüpft. Sicher hätte man dann damals schon den Begriff des Fremdschämens erfunden.
«Wie heißt er denn?»
«Wer?»
«Dein neuer Lover?»
«Mein … was?», huste ich.
«Ach, Alex, mir kannst du doch nichts vormachen. Wenn jemand sich einer derart krassen Typveränderung hingibt, steckt fast immer ein Mann dahinter.»
Da sieht man es mal wieder: Die Menschheit ist von Vorurteilen geradezu besessen. Nur weil man mal ein bisschen mehr auf sein Äußeres achtet, wird man gleich in eine Schublade gesteckt. Können die Leute sich nicht mal ein bisschen locker machen?
«Weißt du was, Marcel? Schmier dir ’ne Regenbogenstulle und steck deine Nase lieber da rein. Aber lass mich mit deinen scheiß Vorurteilen in Frieden.»
Wütend schnappe ich mir die Besichtigungsutensilien und verschwinde.
* * *
Die Büroräume von Hambitare Immobilien liegen am Rande der Innenstadt, unweit des ehemaligen Freihafens und der Hafencity. Auf dem Weg dorthin löst eine Baustelle die nächste ab, was zu einer chronischen Verstopfung der Straßen führt. Typisch für Hamburg: Obwohl mein Weg nur etwa 500 Meter Luftlinie beträgt, dauert die Fahrt mit meinem Fiat dann doch eine halbe Stunde.
Dank Navi finde ich zumindest das Objekt sehr schnell, oder sagen wir besser: Dank Navi finde ich es überhaupt. Vollkommen unscheinbar liegt das Gebäude zwischen den modernen Neubauten und ließe sich leicht übersehen, sofern man nicht gezielt danach sucht. Denn das Objekt ist ein alleinstehendes Haus mit drei Stockwerken, im typischen Lagerhausstil. Auf dem Dach befinden sich zwei Türmchen, die das Gebäude eher wie ein Schloss denn wie ein altes Kaufmannshaus aussehen lassen. Inmitten der ringsherum entstandenen Wohncity wirkt es vollkommen verloren und unwirklich. Wie ein Schrebergarten in Tokio.
Schon komisch, dass mir dieses Kleinod bei Terminen in der Gegend nie aufgefallen ist. Allerdings frage ich mich bei aller Besonderheit des Gebäudes nun langsam, wo hier der Haken ist. Ich meine, es kann doch eigentlich nicht sein, dass sich für ein derartiges Schmuckstück kein Käufer finden lässt. Zehn Monate schlummert es schon bei Hambitare in den Akten, und soweit ich weiß, gab es auch bereits diverse Besichtigungen. Trotzdem kam es nie zu einem Kaufvertrag. Vermutlich sind die Mauern marode, Schwamm und Holzbock haben bereits ihre Spuren hinterlassen, und innen müffelt es nach feuchtem Laub und Verwesung. In diesem Fall würde ich es auch nicht haben wollen. Mal abgesehen von dem Kaufpreis, den ich im Leben nicht zahlen könnte: Eine Million Euro verlangt der Eigentümer für sein kleines Schloss. Eine Summe, die – das muss man fairerweise zugeben – angesichts der steigenden Immobilienpreise und der exponierten Lage beinahe ein Schnäppchen ist.
Neugierig betrete ich das
Weitere Kostenlose Bücher