Dicke Moepse
der Dunkelheit auch wirklich schwer wäre, steht sie ebenfalls von ihrem Baumstumpf auf und humpelt zu uns herüber. Wir fassen uns an den Händen, sodass wir einen Kreis um das Erdloch bilden.
»Wir wollen zuerst mit unserer Vergangenheit abschließen«, sagt Carla nun mit feierlicher Stimme, und ich wage es kaum, Luft zu holen. Auch Mels Gejammer ist verstummt. Wir schauen ehrfürchtig auf die leere Holzkiste. Carla kramt in ihrem Trenchcoat herum und holt ein Paar alte Socken hervor. »Von meinem Ex!«, flüstert sie und wirft die Strümpfe in die Kiste. Also werfe ich mein Stück der Vergangenheit, meinen Blümchen-BH, ebenfalls dazu und blicke erwartungsvoll zu Melanie. Sie hat sich für ein Halstuch ihrer Airline entschieden und lässt es ebenfalls gen Boden flattern.
»Nun sprecht mir nach. Liebes Schicksal, wir bitten dich, die bösen Geister wollen wir nicht. Wir machen den Deckel der Vergangenheit zu und sind offen für die Zukunft im Nu!«
Murmelnd wiederholen wir die Worte, und eine leichte Bö weht durch die Wipfel der Tannen, unter denen wir gerade stehen. In der Ferne heult ein Käuzchen, und ich bilde mir ein, ein leises Wispern zu vernehmen.
»Und nun wollen wir in die Zukunft schauen.« Carla greift erneut nach unseren Händen.
»Mel, du zuerst!«, fordert Carla. Melanie kramt nun eine Tüte mit Erdnüssen hervor. »Aus der 1. Klasse!«, murmelt sie entschuldigend.
Jetzt bin ich dran, und ich werfe verlegen mein Fruchtgummi-Herz in die Kiste.
»Was Besseres ist euch nicht eingefallen?« Carla schüttelt den Kopf und holt zwei ineinandergeschlungene Ringe aus ihrer Tasche. Vermutlich hat sie sie aus der Alufolie vorhin in der Küche gebastelt. Ich bin beeindruckt. Da scheint jemand seine Sache wirklich ernst zu nehmen.
»Fertig?«, fragt Carla.
»Fertig!«, antworten Mel und ich.
»Dann sprecht nun laut eure Wünsche aus, bevor wir die Kiste verschließen.«
»Äh, ja, also … ich wünsche mir, dass ich bis Ende des Jahres in der Business-Class arbeiten werde und da auch einen tollen Mann kennenlerne! Danke!«, stottert Mel und macht einen kleinen Knicks.
»Ich wünsche mir die Liebe auf den ersten Blick in diesem Jahr. Ich möchte den Vater meiner Kinder treffen und ihn natürlich heiraten!«, sagt Carla feierlich.
Ich hole tief Luft. So einfach ist es gar nicht, seine Wünsche in einen Satz zu verpacken. Was will ich denn eigentlich? Wie soll er sein, mein Traumprinz? Man muss schließlich vorsichtig sein mit den Formulierungen. Heiraten will ich schon, aber vielleicht nicht gerade bis Ende des Jahres. Mit dem Kinderkriegen möchte ich mir auch noch Zeit lassen. Aber ich will mich endlich wieder verlieben, ohne dabei auf die Schnauze zu fallen. Vorsichtig und sanft und auf keinen Fall einseitig!
»Ich wünsche mir einen Mann, der mich in allem unterstützt, mich auf Händen trägt und der mich so liebt, wie ich bin. Und den ich ebenfalls von ganzem Herzen lieben kann.« Ich denke, das war gut. »In guten wie in schlechten Zeiten!«, füge ich noch schnell hinzu, schließlich soll der Typ mich nicht bei der ersten Sommergrippe wieder verlassen.
Wir knien uns vor die Kiste und legen den Deckel darauf. Dann schaufeln wir mit unseren Händen die feuchte Erde auf die Holzlatten, bis man nichts mehr von ihnen sieht. Carla stellt die Kerze auf den kleinen Hügel und reißt die Packung mit den getrockneten Blüten auf. Dann murmelt sie erneut verschwörerisch vor sich hin, während sie von dem Potpourrizeug einen Teil neben die Kerze krümelt.
»Ich rufe den neuen Geliebten, der für mich der Richtige ist, aus dem Osten herbei! Wie der Wind erwachst du, wie ein Wunsch erhebst du dich jetzt! Komm in mein Leben! Rosi, jetzt du!«
Wie in Trance spreche ich ihr nach und greife ebenfalls in die Tüte mit den Blättern, um es ihr gleichzutun. Wir wiederholen den Spruch in abgewandelter Form in jede Himmelsrichtung. Als wir fertig sind, fühle ich mich irgendwie erleichtert.
»Mel, jetzt bist du dran. Du musst die Sprüche natürlich in Bezug auf deinen Job aufsagen!«, fordert Carla Melanie auf.
»Ganz ehrlich, mir ist kalt. Und so langsam finde ich das alles affig. Ich will wirklich nach Hause, solange der Docht an der Kerze noch etwas Licht gibt. Meine Karriere kommt sicher nicht in Gang, wenn ich mir hier einen Schnupfen hole oder im Dunkeln den Hals breche.«
»Gut, wie du willst. Dann packen wir unsere Sachen zusammen und hauen ab!« Etwas beleidigt sammelt Carla die Schaufel und den
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