Dickner, Nicolas
zu respektieren – zumindest, wenn er der Deportation auf irgendeine weit entfernte Insel der Aleuten entgehen wollte. Eines Tages würde Simón in der Lage sein, gewisse Dinge zu verstehen, beispielsweise dass die sexuelle Maschinerie – auch angesichts komplizierter Verzahnung und Schmierung – immer noch einen der einfachsten Aspekte dessen darstellte, was wir pompös Unsere Kultur nennen.
Bis es so weit war, wollte Noah lieber an einer kleinen, alltäglichen Vaterschaft feilen, die aus Augenzwinkern und komplizenhaftem Schweigen, faulen Frühstücksgelagen und ausgiebigen Strandbesuchen bestand. Um dies zu tun, musste er auf Margarita bleiben; und um auf Margarita zu bleiben, brauchte er einen Vorwand – und wenn möglich einen Vorwand, der so verstrickt, voller Umwege und Sackgassen war, dass alle weiteren Fragen im Keim erstickt wurden.
Er erinnert sich an einen Artikel, den er ein paar Jahre zuvor in einem alten National Geographic gelesen hat, der ihm beim Saubermachen hinter dem Kühlschrank in die Finger gekommen war. Aus diesem Artikel entwickelte er die notwendige Geschichte, wie geschaffen für ihn, die auch in Sachen Kompliziertheit keine Wünsche offenließ – ein Epos, das gut den Titel tragen könnte:
Das betrübliche Epos der Garifuna
Alles begann im Jahre des Herrn 1635, als ein holländisches Sklavenschiff, das mit einer Ladung Sklaven direkt aus Afrika kam, in der Inselkette der Grenadinen auf Grund lief.
Die Sklaven nutzten das Durcheinander, um die Besatzung zu überwältigen und Reißaus zu nehmen. Sie flohen auf eine Nachbarinsel von Yurumein (die zuvor den Namen St. Vincent trug), wo sie sich mit den Kariben zusammentaten. Die aus dieser weder ganz indianischen noch ganz afrikanischen Mischung hervorgegangenen Stämme gaben sich bald den Namen Garifuna – wobei sie je nach Ort, Umständen und grammatikalischen Gepflogenheiten auch Garinagu, Carifuna, Kalypuna, Garif, Karif, Caberne, Cabre, Calino, Calinya, Calinyaku oder Callinago genannt wurden – allesamt Beispiele für die unaufhörlichen Deformierungen des Namens Karaïben , der soviel bedeutet wie „Maniok-Esser“.
Entflohene Sklaven aus St. Lucia und Barbados schlossen sich den Garifuna bald an, in der Hoffnung auf dieser von den Europäern noch unbesetzten Insel in Freiheit zu leben. Allerdings handelte es sich dabei um eine äußerst ungewisse Freiheit, da sich Franzosen und Briten seit den Massakern von St. Kitts im Jahr 1625 verbittert die Kontrolle über das Archipel streitig machten. Im Laufe der folgenden zweihundert Jahre waren die Kleinen Antillen Schauplatz für Tausende Schlachten, Bündnisse, Heimtücken, Edikte und andere Auseinandersetzungen von mehr oder minder diplomatischer Natur.
Die Garifuna wäre zweifelsohne am Rande dieses Konflikts geblieben, hätte es nicht die Unterzeichnung des Pariser Friedens von 1763 gegeben.
Mit der Abtretung der Insel St. Vincent an die Briten versetzte Frankreich alle Insulaner in eine heikle Situation, allen voran die Garifuna, deren unklare Lage man nicht vergessen darf: weder ganz Ureinwohner, noch ganz Sklaven.
Die politische Ungewissheit rief eine Revolte auf den Plan.
Die Garifuna wollten die Briten von der Insel jagen und stellten zu diesem Zweck die schlechte Rechnung an, sich mit den Franzosen zu verbinden. Dazu ist zu sagen, dass Frankreich, so geschwächt wie nie zuvor, sich nunmehr darauf beschränkte, Aufstände unter der lokalen Bevölkerung anzuzetteln, in der Hoffnung, sich der Engländer somit ohne allzuviel Aufwand entledigen zu können. Das Manöver schlug jedoch fehl, da jede auf diese Weise gewonnene Insel aufgrund mangelnder fester Stellungen im Rest des Archipels schon beim nächsten Abkommen wieder an die Engländer abgetreten werden musste.
Die letzten Aufstände gab es im Februar 1795, als die Franzosen eine gleichzeitige Landung auf Grenada, St. Lucia und St. Vincent versuchten. Das Unterfangen wurde zum Desaster und nach 1796 leisteten allein die Garifuna noch Widerstand. Die englischen Truppen strömten auf die Insel und schafften es, die Rebellion von St. Vincent niederzuschlagen und damit zweihundert Jahren Karibenkrieg ein Ende zu setzen.
Im Januar 1797 ordnete die Verwaltung von St. Vincent die Deportation der Aufständischen an. Das Unternehmen vollzog sich mit überwältigender Effizienz – die Briten hatten in Akadien durchaus einiges an Übung und Erfahrung gewonnen. Die Einbäume und Ernten wurden verbrannt, und mehr als
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