Dickner, Nicolas
bei der Amtsausübung aufgebrummt werden, zusammen mit fünfzig Stunden gemeinnütziger Arbeit.
„Aber das wirkliche Problem“, erklärt seine Sekretärin mit leiser Stimme, „ist, dass die Fakultät versuchen wird, ihn loszuwerden. Einige Kollegen wollen seit Jahren seinen Kopf. Die werden die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen.“
Noah fand den Moment unpassend, sich davonzumachen, doch was konnte ein einfacher Student im Hauptstudium letztlich schon ausrichten, wenn ein Trupp hoher Tiere sich darauf verschworen hatte, einander den Garaus zu machen. Weil ihm nichts Besseres einfiel, schickte er drei Briefe: den ersten an die Studentenzeitung, damit sie sich dort für Thomas Saint-Laurent einsetzten; den zweiten an Thomas Saint-Laurent selber, um ihm seine uneingeschränkte moralische Unterstützung zuzusichern; den dritten an Sarah, um ihr mitzuteilen, dass er ein weiteres Mal seine Adresse ändern würde.
Das alles ging so schnell, dass er kaum die Zeit hatte, sein Gepäck von der Stevenson-Insel auszupacken: Er wusch in größter Hast seine Kleider, schüttelte die Flechtenteile aus, die den Grund seines Rucksacks bedeckten, schmiss die halbleeren Flaschen DEET und Sonnencreme weg. Durch unnachgiebiges Bedrängen der Beamten hatte er seinen Reisepass innerhalb von 48 Stunden erhalten, zu einem unsäglichen Preis. Die Zeit fehlte ihm, um das Geschwader empfohlener Injektionen zu bekommen, aber Arizna – die diese Impfungen als „Gringoverarsche“ qualifizierte – sagte, dass er die genauso gut in Caracas bekommen könnte, wenn er wirklich Wert darauf legte.
Er schiebt die Plastiksäcke zur Seite und betrachtet den Raum voller Zufriedenheit. Schubladen und Bücherbretter sind leer, er muss nur noch einmal mit dem Besen durchgehen, dann ist das Zimmer wieder genau in dem Zustand, in dem es sich vor fünf Jahren befunden hatte: 30 Kubikmeter leerer Raum. Er setzt seinen Rucksack auf, geht aus dem Zimmer und schließt die Tür hinter sich ohne ein Geräusch.
Auf dem Flur läuft er Maelo über den Weg, der wunderbare Ferien verlebt hat, oh ja, danke.
„Großmutter Úrsula geht’s gut?“, erkundigt sich Noah.
„Sie wird uns alle überleben. Und du, was turnst du da mit deinem Gepäck rum? Kommst du von der Côte-Nord?“
„Nein, ich fahre wieder.“
„Du fährst wieder?“
„Nach Venezuela.“
„Venezuela!?“, ruft Maelo völlig entgeistert aus. „Wann kommst du zurück?“
„In zehn Jahren vielleicht.“
1999
Charles Darwins wundersame Abenteuer auf den Galápagos-Inseln
Das riesige Familienanwesen der Burgos war gegen 1679 errichtet worden, zur selben Zeit wie das kleine Fort von Santa Rosa. Den beiden in den Höhen von La Asunción versprengten Gebäuden ist eine massige Bauweise gemein, die darauf angelegt war, den häufigen Überfällen der Piraten standzuhalten, die damals die Isla Margarita heimsuchten.
Es heißt, das Haus wäre von einem Geschäftsmann aus Nueva Cádiz in Auftrag gegeben worden, der durch den Handel mit Perlen und die Versklavung der Guaiqueri-Indianer zu Vermögen gekommen war. Die plötzliche Ausschöpfung der Austernbestände hatte ihn dazu gezwungen, das frisch gebaute und niemals bewohnte Haus zu verkaufen. Das auf die Schnelle veräußerte problematische Gebäude ging daraufhin von Hand zu Hand, ohne jemals lange im Besitz irgendeines Käufers zu bleiben. Es gehörte der Reihe nach einem General der spanischen Armee, einem Geschäftsmann, einem Architekten, fünf Notaren, einem Abgeordneten, einem pensionierten Prospektor aus Brasilien, einem englischen Industriellen, einem griechischen Reeder und zwei Zahnärzten. Es geht die Legende, dass es 1816, während des Unabhängigkeitskrieges, requiriert wurde, um Simón Bolivar für eine Nacht Unterschlupf zu gewähren.
Don Eduardo wurde 1961 der fünfzehnte Besitzer des Hauses. Er hatte es gekauft, um es zu seiner Sommerresidenz zu machen – in Anbetracht der Größe des Bauwerks ein wahrhaft erstaunliches Vorhaben. Man müsste eine ganz unglaublich große Familie haben, um den weitläufigen Innenhof, die drei Wohnzimmer, den riesigen Speisesaal und die zehn Schlafzimmer, von denen mehrere über zwei Doppelbetten verfügen, auszufüllen.
Trotz seiner Riesenhaftigkeit hat das Haus noch kein einziges Familientreffen erlebt. Genaugenommen ist es zwischen 1961 und 1995 so gut wie unbewohnt geblieben. Don Eduardos Kinder kamen höchstens für drei Tage im Jahr und planten ihren Besuch sorgfältig,
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