Die 10. Symphonie
mein Büro, da mache ich uns einen richtig guten Cappuccino.«
Malinak faltete seinen wei ßen Blindenstock dreimal, legte seine Hand auf Doktor Werners Arm und sagte: »Ich begebe mich in deine Hände.«
Die beiden M änner liefen schweigend durch die Gebäude der Hofreitschule, bis sie die grüne Tür erreicht hatten, durch die sie in Werners Büro und Wohnung eintraten. Als dieser Malinak seinen Kaffee serviert hatte, begann er:
»Diese Geschichte über Patton und die Lipizzaner, die du den Touristen immer erzählst, ist die wahr?« Auch wenn Malinak das Gesicht seines Gesprächspartners nicht sehen konnte, sagten ihm der Tonfall und die Art, wie die Frage gestellt worden war, dass dahinter mehr als schlichtes historisches Interesse steckte. »Ja, ja, sie ist wahr. Ist irgendetwas, Otto?« »Die Russen wollten die Pferde töten?« »Im Zweiten Weltkrieg verfrachteten die Nazis die Lipizzanerzucht von Piber, hier in Österreich, nach Hostau in Böhmen. Ein paar deutschen Offizieren in sowjetischer Gefangenschaft gelang es, Patton den Hinweis zukommen zu lassen, dass die Pferde den Soldaten als Verpflegung dienen sollten. Patton startete daraufhin eine Rettungsexpedition hinter die sowjetischen Linien und rettete auf diese Weise zweihundertfünfzig Pferde. Wieso zweifelst du daran?«
»Ich zweifle nicht daran. Aber meine Frau ist Russin.« Malinak schwieg für einen Augenblick und sagte dann betreten: »Oh. Das wusste ich nicht.« »Ich habe ihr die Geschichte erzählt, weil sie mir selbst neu war, und du glaubst nicht, wie sie sich aufgeregt hat: Wie ich als stellvertretender Direktor es zulassen könne, dass tagtäglich Leute, nachdem sie hier waren, denken, die Russen seien ein Haufen Pferdeschlächter.« »Wenn du willst, werde ich die Geschichte nicht mehr erzählen.«
»Das ist nicht nötig, aber vielleicht kannst du sie ein wenig abmildern. Sag einfach, dass sich die Russen nicht mit der gebührenden Sorgfalt um die Pferde gekümmert hätten und Patton der Sache Einhalt geboten habe.« Malinak schmunzelte über diese neue Version. »Einverstanden, kein Problem. Vor allem, weil du es bist, der mich darum bittet. Schließlich verdanke ich dir meinen Arbeitsplatz.«
Die beiden M änner genossen noch eine Weile ihren Cappuccino, bis Doktor Werner sich erhob und seufzte: »Weißt du, was? Erzähl, was du möchtest. Lieber belüge ich meine Frau als die Besucher. Ich werde Olga sagen, dass du diese Dinge nicht mehr erzählst, und ihr wird nichts anderes übrigbleiben, als mir zu glauben.« Froh über diese Wendung, stand Malinak ebenfalls auf und klappte mit den Worten: »Du brauchst mich nicht zu begleiten, Otto. Ich finde mich hiermit gut zurecht« seinen weißen Stock auseinander.
Er ging genau drei Schritte in Richtung T ür, stolperte über etwas und fiel hin.
»Hast du dir weh getan?« Doktor Werner fuhr erschrocken hoch und half ihm auf.
Malinak tastete den Holzfu ßboden ab und stieß auf eine lockere Diele, die er ohne die geringste Mühe vom Boden lösen konnte.
»Merkwürdig«, sagte Werner. »Ich hätte schwören können, dass diese Diele nie lose war.«
Als er zwischen den Dielen und dem Boden einen ger äumigen Hohlraum ertastete, fragte der Blinde: »Was versteckst du da, Otto? Eine Leiche?
17
Aguilar hatte Sophie Luciani, Ronald Thomas' Tochter, f ür fünf Uhr nachmittags in die Cafeteria des kriminaltechnischen Labors bestellt. Zwei Stunden später würde Daniel in Begleitung der Richterin Rodriguez Lanchas den Kopf des Ermordeten untersuchen. Mateos hatte ein hinreißendes Foto von Sophie gesehen und beschlossen, die Vernehmung persönlich durchzuführen. Sein Plan war, ihr so viel wie möglich über das Opfer und das mögliche Tatmotiv zu entlocken und ihr danach in dem bitteren Moment beizustehen, in dem sie den Kopf ihres Vaters identifizieren musste.
Mateos und sein Assistent waren ein paar Minuten vor Thomas' Tochter am vereinbarten Treffpunkt. Sie zeigten dem Chef der Cafeteria ihre Erkennungsmarke und baten ihn, die beiden Tische neben dem ihren ganz hinten im Lokal r äumen zu lassen, damit niemand etwas von dem Gespräch mitbekam.
Die meisten G äste, die dort saßen, waren Mitarbeiter des Laborzentrums. Sie erhoben sich unwillig und mit demonstrativem Murren und verzogen sich an die Bar. »Warum so schlechte Laune, Chef?«, fragte Aguilar, als sie sich gesetzt und beide einen schwarzen Kaffee bestellt hatten. »Normalerweise ist es das reinste Vergnügen, dir bei der
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