Die 10. Symphonie
irgendeine skrupellose Person den Kopf gefunden und ihn aus reiner Zerstörungswut woandershin gebracht. Vielleicht war es auch ein streunender Hund. Das überprüfen wir noch.«
»Man hat mit dem Kopf meines Vaters ... herumgespielt?« »Er hat einige Blutergüsse und Brüche, aber die wurden ihm nach dem Tod zugefügt, das kann ich Ihnen versichern. Sehr wahrscheinlich stammen diese Verletzungen nicht vom Mörder, sondern wurden im Nachhinein verursacht, als er mutwillig vom Leichenfundort fortbewegt wurde.«
»Ich will ihn sehen«, verlangte Sophie Luciani plötzlich und stand auf. Obgleich Mateos ein Mann von nicht geringer Statur war, reichte ihm Sophie fast bis zur Nase. »Sind Sie sicher?«, fragte der Inspector. »Wir können die Identität auch über Zahnproben nachweisen, wenn Sie möchten, und Ihnen einen schwierigen Moment ersparen. Wobei das natürlich mehr Zeit in Anspruch nehmen würde, und Schnelligkeit ist das Wichtigste, wenn wir den Mörder fassen wollen.«
»Nein, nein, ich bin mir sicher. Führen Sie mich zu den sterblichen Überresten meines Vaters. Unverzüglich.« Mateos und Aguilar begleiteten Thomas' Tochter ins Kellergeschoss, wo sie das Opfer ohne Zögern als ihren Vater identifizierte. Während der kurzen Zeit, die sie vor dem abgetrennten Kopf ihres Vaters stand, bewies Sophie Luciani enorme Beherrschung. Eine Minute später jedoch, sie hatte das Laborgebäude noch nicht verlassen, wurde ihr auf einmal übel, und sie erlitt einen Zusammenbruch.
18
Das Kriminallabor des Instituts f ür Rechtsmedizin war aus Platzgründen nicht vollständig dort untergebracht, wo der Oberste Gerichtshof seinen Sitz hatte; vielmehr hatten einige Abteilungen provisorisch in den Keller des alten Marienhospitals verlegt werden müssen, bis das Gebäude vergrößert werden würde. Dort befanden sich nun die Abteilungen Daktyloskopie und Kryptographie, Gerichtsmedizin und Toxikologische Analyse. Die technische Ausstattung, über die sie verfügten, war so topmodern, wie es sich ein solches Zentrum nur wünschen konnte. Das Problem war, so erklärte man Daniel später, dass es nicht genügend Gerichtsmediziner gab und die von den Richtern geforderten Tests daher meist spät, schlecht oder nie durchgeführt wurden.
»Ich habe keine Ahnung, wofür dieses ganze teure Spielzeug angeschafft wurde, wenn wir niemanden haben, der damit umgehen kann«, sagte ihm einer der vier Mitarbeiter des Zentrums.
Als Daniel die Treppen zum Eingang des Krankenhauses hochstieg, vor denen eine Stunde zuvor Sophie Luciani mit einem Rettungswagen abgeholt und in ihr Hotel gebracht worden war, kam ihm eine junge Frau entgegen. Sie war nicht älter als zwanzig Jahre und hatte im Gesicht üble Verbrennungen von Zigarettenstummeln. Wahrscheinlich war sie misshandelt worden und kam nun von einer gerichtsmedizinischen Untersuchung. Der Ort lie ß Daniel erschaudern, und er war drauf und dran, auf dem Absatz kehrtzumachen. Doch da hatte ihn die Richterin schon von der Eingangshalle aus gesehen und ihn heran gewunken. Er konnte nicht mehr zurück.
»Schön, dass du pünktlich bist«, sagte sie und gab ihm die Hand. Sie wollte lächeln, unterdrückte es aber wie immer, um ihre Gesichtslähmung nicht noch auffälliger zu machen. Sie wurde von einem gutgekleideten Mann begleitet. Er stellte sich vor, ohne darauf zu warten, dass Dona Susana - deren Gericht er unterstellt war - es tat. »Mein Name ist Felipe Pontones, ich arbeite mit Susana zusammen. Ich bin der Gerichtsmediziner, der die äußere Leichenschau in diesem Fall durchgeführt hat. Und nun bin ich natürlich auch zuständig für die Obduktion.« Er schien ein recht herzlicher, angenehmer Mann zu sein, doch irgendwie irritierten Daniel seine zu eng stehenden Augen und sein von einer auffälligen weißen Strähne durchzogenes Haar, das ihm das unvorteilhafte Aussehen eines Stinktiers verlieh.
»Der Kopf ist unten«, sagte die Richterin. »Wir könnten mit dem Aufzug fahren, aber es sind bloß zwei Treppen.« Sie waren keine zwei Schritte weit gekommen, da schlug ihnen ein starker Fäkalgeruch entgegen. In einem der Säle wurde gerade eine vollständige Autopsie durchgeführt. Daniel blieb stehen und las die lateinische Inschrift im Gang:
Hie locus est ubi mors gaudet sueurrere vitae.
»Das bedeutet: An diesem Ort ist es dem Tod eine Freude, dem Leben helfen zu können «, erklärte Pontones, während er sich ein Paar hellblaue Latexhandschuhe überzog. »Hier unten herrschen
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