Die 10. Symphonie
Vernehmung einer solchen Schönheit zuzusehen. Ich erinnere mich an diesen Nachtklub letzten Monat ...«
»Lass mich die Fragen stellen«, unterbrach Mateos ihn und ignorierte seine Bemerkung vollkommen. Er schätzte Aguilars detektivische Fähigkeiten, betrachtete ihn jedoch nicht als qualifizierten Gesprächspartner für einen Austausch über das weibliche Geschlecht. »Wenn ich dich vorstelle, keine Luftküsse. Du gibst ihr die Hand, und fertig.«
»Und wenn sie diejenige ist, die damit anfängt? Soll ich sie in die Luft schmatzen lassen wie einen Fisch auf dem Trockenen?«
»Aguilar, ich bin heute nicht in der Laune für so einen Quatsch.« »Was ist los, Chef?«
»Ist dir noch nie aufgefallen, dass wir im Vergleich mit den Richtern unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen arbeiten? Man müsste die Strafprozessordnung ändern und uns die gleichen Vorrechte einräumen wie den Herrschaften von der Justiz. Diese Frau könnte für die Aufklärung der Tatsachen entscheidend sein. Wenn sie ihre Aussage vor einem Untersuchungsrichter machen würde, wäre sie eine Zeugin und müsste schwören, dass sie die Wahrheit sagt. Andernfalls würde sie sich der Falschaussage schuldig machen.«
»Uns dagegen könnte sie das Blaue vom Himmel herunterlügen, weil das Gesetz sie nicht dazu verpflichtet, vor der Polizei ehrlich zu sein«, ergänzte Aguilar. »Aber weshalb sollte sie uns täuschen wollen? Sie ist die Tochter des Opfers. Es wäre doch normal, wenn sie den Mörder so schnell wie möglich hinter Gittern sehen wollte. Außer natürlich ...«, fügte Aguilar nach einer kurzen Pause hinzu, in der man den Groschen förmlich fallen sah, »du verdächtigst sie.«
Auch auf diese Bemerkung seines Assistenten reagierte Mateos nicht. Diesmal allerdings nicht, weil er sie f ür überflüssig hielt, sondern weil in diesem Augenblick Sophie Luciani zur Tür hereinkam - in weißer Bluse und dunklem Nadelstreifenkostüm und eskortiert von einem Zivilpolizisten. Sie verbarg ihr Gesicht hinter einer Sonnenbrille.
»Warten Sie draußen«, befahl Mateos dem Beamten. Er stellte sich und seinen Assistenten vor und begann ohne Umschweife.
»Señorita Luciani«, sagte er. »Wir können nachvollziehen, dass Sie eine schwere Zeit durchleben. Würden Sie bitte dennoch die Sonnenbrille absetzen, wenn Sie mit uns reden?«
Sophie kam der Aufforderung des Polizisten nach, und die beiden Inspektoren stellten ein wenig verwundert fest, dass ihre gro ßen, runden honigfarbenen Augen keinerlei Spuren von stundenlangem Weinen oder durchwachten Nächten trugen.
»Vielen Dank, dass Sie kooperieren«, sagte Mateos. »Waren Sie schon einmal in ein polizeiliches Ermittlungsverfahren involviert?« »Nein, nie.«
»Ich frage Sie das, weil in den meisten Fällen die Mörder aus dem persönlichen Umfeld des Opfers stammen: Freunde, Familie, Liebhaber.«
Unruhig wand sich die Frau auf ihrem Stuhl. Sie zog es jedoch vor, den Inspector nicht zu unterbrechen, bevor nicht ein wenig klarer war, worauf er hinauswollte. »Was ich sagen will: Für uns ist das Wichtigste, dass Sie uns die Namen derjenigen nennen, die zum engsten Umfeld Ihres Vaters gehörten.«
Widerstrebend, als ob er sie gebeten h ätte, eine Gruppe politischer Aktivisten zu denunzieren, nannte Luciani ihm ein halbes Dutzend Namen.
»Ist unter diesen Personen nach Ihrem Dafürhalten ...« »Verzeihung, was sagten Sie?«
»Nach Ihrem Dafürhalten. Tut mir leid, Juristenjargon, eine Berufskrankheit, äh ... Ich weiß nicht, wie es auf Französisch heißt.«
»A votre sens«, fiel ihm Aguilar ins Wort, obgleich er sich im Klaren darüber war, dass er für diese Zurschaustellung seines sprachlichen Wissens einen vernichtenden Blick seines Chefs ernten würde - und so war es auch. »Ist unter diesen Personen jemand, der, a votre sens, Ihrem Vater feindlich gesonnen war?« »Nein, niemand.« »Wie war Ihr Verhältnis zu ihm?«
»Wir haben uns selten gesehen, aber er liebte mich sehr. Ich war schließlich seine einzige Tochter.« »Sie sagten, er liebte mich sehr . Sie ihn auch?« »Weniger. Als meine Eltern sich scheiden ließen, war ich noch ein Kind. Unbewusst ergriff ich Partei für meine Mutter. Ich respektiere und bewundere zwar die Arbeit meines Vaters aus professioneller Sicht, doch ich habe nie aufhören können, ihn als den Mann zu sehen, der uns verlassen hat.«
»Haben Sie sein letztes Konzert besucht?« »Ja, selbstverständlich.« »Allein?«
»Ich bin mit einem Freund meines
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