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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Gelinek
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vergessen, dass ich noch anderthalb Jahre in Grenoble bleiben muss? Das habe ich unterschrieben, ich kann nicht mehr zurück. Das Kind würde in Frankreich geboren.«
    »Das ist nicht das Problem, Alicia. Das Entscheidende, das Einzige, was zählt, ist doch, was wir beide wollen, was uns als Paar wichtig ist. Wenn wir das Kind haben wollen, sollte es doch kein Hindernis sein, dass es deinem Arbeitgeber vielleicht nicht in den Kram passt, dir sechzehn Wochen Mutterschaftsurlaub geben zu müssen.« »Was uns als Paar wichtig ist? Wo das Einzige, was dich interessiert, doch anscheinend deine Abhandlung über Beethoven ist - und jetzt auch noch dieses schauderhafte Verbrechen! Und du mich auf dem Flughafen sitzenlässt, weil du ein Konzert nicht verpassen willst!« Ein paar Tische weiter saß eine Familie, die sich nun, als der Streit lauter wurde, neugierig zu ihnen umwandte. »Wenn wir nicht ins Fernsehen wollen, sollten wir uns etwas beruhigen«, sagte Daniel.
    »Ich brauche das Gefühl, geliebt zu werden, und ich will, dass du dich ein wenig mehr um mich bemühst.« »Du hast ja recht. Aber ich muss mich gerade wirklich ins Zeug legen, um das Buch zu beenden, sonst wird das nie etwas.«
    »Warum ist das denn so wichtig für dich?« »Ich bin es meinem Vater schuldig. Von ihm habe ich die zwei wichtigsten Dinge fürs Leben gelernt. Erstens: Wenn es ein Problem gibt, sollte man als Erstes die naheliegendsten Dinge überprüfen. Sei es, dass eine Tür nicht aufgeht, ein Elektrogerät nicht funktioniert, das Auto nicht anspringt oder dass zwei sich streiten - man rechne immer zuerst mit dem Einfachsten. In neunzig Prozent der Fälle ist ein Kabel locker, das Gerät nicht angeschaltet, oder jemand, der dich verletzt hat, wollte eigentlich etwas ganz anderes sagen.«
    »Haha, sehr passend. Und was ist das Zweite?« »Die Liebe zu Beethoven. Es ist ein Wunder, dass ich seine Musik nicht verabscheue, so oft wie mein Vater sie zu Hause aufgelegt hat. Wenn es ihm nicht gutging, ist er ins Hinterzimmer gegangen und hörte stundenlang im Dunkeln Beethoven. Einmal habe ich ihn überrascht, wie er weinte. Das hat mir damals einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Ich dachte, er habe sich mit meiner Mutter ge stritten oder sei entlassen worden. Doch er l ächelte mich an, strich mir über den Kopf und sagte: Es ist nichts passiert, Daniel. Es ist nicht weiter schlimm, zu weinen. Viel schlimmer ist es, nicht weinen zu können. Immer wenn du traurig bist und die Tränen nicht fließen wollen, hör dir das Adagio aus der neunten Symphonie an. « Alicia seufzte, schon halb versöhnt. »Jetzt kann mein Vater das Buch zwar nicht mehr lesen, aber ich weiß, er hätte sich sehr darüber gefreut. Als ich mit der Arbeit begonnen habe, lebte er noch.« »Und worüber schreibst du gerade?« »Über Beethovens Arbeitsweise. Um seine Ideen nicht zu vergessen, pflegte er sie in ein Notizbuch einzutragen, das er immer mit sich führte. Doch diese Skizzen waren keine einfachen Gedächtnisstützen. Über Dutzende Seiten hat er einen anfänglich schlichten Geistesblitz ausgearbeitet und entwickelte ihn weiter, indem er ihn mit anderen Ideen verband. Ich möchte dem Leser nicht nur zeigen, wie ein Genie sein kreatives Material ausformt, sondern auch, weshalb das Endergebnis musikalisch gesehen besser ist als die Ausgangsidee. Das funktioniert nur bei Beethoven. Erinnerst du dich an den Film Amadeus?« »Ja, sehr gut.«
    »Salieri ist vollkommen baff und natürlich grün vor Neid, als Constanze ihm Mozarts handgeschriebene Manuskripte bringt und er sieht, dass darin nichts durchgestrichen oder korrigiert ist. Salieri sagt wörtlich: He had simply written down music already finished in his head. Page after page of it, as if he were just taking dictation.«*
    * »Er hat einfach Musik niedergeschrieben, die in seinem Kopf schon fertig war. Seite um Seite, als hätte sie ihm jemand diktiert.«
    »Du kennst die Originaldialoge auswendig?« »Was soll ich machen ? Ich habe den Film mindestens zwanzigmal auf DVD gesehen, da ist der Text hängengeblieben. Nun, auf jeden Fall ist dies keine Erfindung des Drehbuchautors. Mozart komponierte mit einer erstaunlichen Leichtigkeit. Das kann man von Beethoven nicht behaupten: Ihm bereitete die Ausarbeitung seiner Werke große Mühe. Es waren langwierige, oft sehr schmerzhafte Geburten.« »Womit wir wieder beim Thema wären, nicht wahr?« In diesem Moment kam Enzo mit zwei Nudeltellern. Unter seinem erwartungsvollen

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