Die 10. Symphonie
an.« »Ja, er protegierte ihn tatsächlich so, wie es die Freimaurer untereinander tun. 1809 erfuhr der Erzherzog, dass Beethoven kurz davor war, eine Stelle als Kapellmeister in Kassel anzunehmen. Das Angebot kam übrigens von Napoleons jüngerem Bruder Jeróme, der damals König von Westfalen war. Rudolph wollte um jeden Preis verhindern, dass der bewunderte Freund fortging. Mit Fürst Lobkowitz und Fürst Kinsky organisierte er eine Art Beethoven-Lobby. Zusammen sicherten sie ihm eine lebenslange Leibrente von j ährlich viertausend Gulden zu - gegen das Versprechen, dass er bis zu seinem Tod in Wien bleiben würde. Beethoven willigte ein, und der Erzherzog zahlte ihm das Geld, obwohl Kinsky 1812 vom Pferd stürzte und starb und Lobkowitz etwa zur gleichen Zeit bankrottging. Die Sympathie, die Rudolph Beethoven entgegenbrachte, hat sich übrigens nicht auf seinen Bruder, den Kaiser, übertragen. Von ihm heißt es, er habe der Musik im Allgemeinen, nicht nur der von Beethoven, misstraut, denn er glaubte, sie sei im tiefsten Innern immer aufrührerisch.«
»Sind Sie vollkommen sicher, dass das Konzert nichts mit Napoleon zu tun hat?«
»Das habe ich nicht gesagt. Beethoven arbeitete unter schwierigsten Bedingungen an diesem Konzert, nämlich während des Bombardements, mit dem Napoleons Truppen Wien 1809 überzogen. Er hat wohl zeitweilig im Keller seines Bruders Zuflucht gesucht, wo er den ganzen Tag mit einem Kissen auf dem Kopf komponierte, um den Kanonendonner zu dämpfen. Wien ergab sich kurz darauf Napoleons Truppen.«
Marañón schwieg lange, als müsse er die Informationen, die Daniel ihm gegeben hatte, erst verarbeiten. Dann warf er den Zigarillo in den Kamin und sagte: »Ich will Thomas' Partitur finden, Daniel. Wenn Sie mich auf irgendeine Spur bringen, die mich zu ihr führt, zahle ich Ihnen eine Menge Geld dafür. Wie wäre es mit einer halben Million?«
Daniel blieb keine Zeit, auf dieses ungeheure Angebot zu reagieren, denn sie wurden von einem leichenblassen, sehr umsichtig wirkenden Menschen unterbrochen: dem Privatsekret är des Millionärs.
»Was gibt es, Jaime?«, fragte Marañón. »Er ist gerade eingetroffen, Don Jesus, und wurde bereits unten aufgebaut.«
»Wunderbar. Ich hatte schon Angst, er wäre verschollen und im Lager irgendeines gottverlassenen Flughafens gelandet. Kommen Sie mit, Daniel. Dann sehen Sie, dass der Mensch nicht von Musik allein lebt.«
Sie stiegen über eine Außentreppe hinab in den geräumigen Keller der Villa. Unversehens fand sich Daniel inmitten einer Sammlung mittelalterlicher Folterinstrumente wieder. Er wusste nicht, wie die dort von dem Millionär ausgestellten Geräte hießen. Er kannte nur die Garrotte, weil sie aus Spanien kam und er sie in dem unvergesslichen Film El Verdugo, Der Henker, von Luis Garcia Berlanga gesehen hatte. Marañón verlor keine Zeit damit, ihm die verschiedenen Ausstellungsstücke zu zeigen, die er im Laufe der Jahre gesammelt hatte, sondern ging geradewegs auf seinen Neuerwerb zu: einen Inquisitionsstuhl, für den er bei einer Auktion im italienischen San Gimignano am Telefon geboten hatte. Marañón betrachtete ihn verzückt, als wäre er ein Gemälde von Tizian. Er legte eine Hand auf die Rückenlehne und sagte: »Wie gefällt er Ihnen?« »Grauenhaft.«
»Furchterregend, würde ich sagen. Meine Frau findet schon den bloßen Gedanken daran, dass hier unten so ein Kabinett des Grauens lauert, abscheulich. Einmal hat sie mir sogar mit Scheidung gedroht. Sie wissen ja, wie die Frauen sind: Wenn sie einmal anfangen zu fremdeln, erscheint ihnen plötzlich alles abstoßend, was ihnen vorher als liebenswerte Schrulle galt.«
Marañón klopfte mit seinem Ring gegen die Rückenlehne des Inquisitionsstuhls.
»So etwas ist für mich eine Zeitmaschine a la H. G. Wells. Es genügt mir, so ein Ding anzuschauen, und schon vergesse ich, dass ich mich in unserer elenden Zeit befinde, und tauche ganz ins 18. Jahrhundert ein. Sie haben erwartet, ich würde Mittelalter sagen, nicht wahr? Etwas derart Primitives, Brutales verbinden wir automatisch mit einer Epoche des Aberglaubens und der Finsternis. Aber ob Sie es glauben oder nicht, solche Stühle wie diesen hier verwendete man in so aufgeklärten Ländern wie England und Deutschland noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.« Der Inquisitionsstuhl war ein großer Holzsitz mit Armlehnen und einer hohen Rückenlehne, der innen mit Tausenden von Nägeln gespickt war. Auf der Höhe der Schienbeine
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