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Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland

Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland

Titel: Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wolfrum
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Zauberformeln klangen: Vorausschauende Arbeitsmarktpolitik, aktive Konjunkturpolitik, gesamtwirtschaftliche Rahmenplanung, Globalsteuerung – alles lief auf eine antizyklische Konjunkturpolitik im Sinne des britischen Ökonomen John Maynard Keynes und der «New Economics» hinaus, womit eine neue, eine zweite Phase der bundesdeutschen sozialen Marktwirtschaft eingeläutet wurde. Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD), Professor der Nationalökonomie, erwies sich als Meister der (Selbst-)Darstellung. Er verband verblüffend-präzise Analysen mit originellen Wortschöpfungen. Seine verbale Brillanz wurde durch sein progressiv-modisches «Outfit» noch unterstrichen, es gab niemals einen besser gekleideten und charmanter, ja anmutiger auftretenden Wirtschaftsminister. «Staatliche Planung» umgab somit ein Flair des Fortschrittlichen. Vergessen war, dass man wenige Jahre zuvor Planung mit kommunistischer Plan- und Kommandowirtschaft gleichgesetzt hatte. Wenn Schiller davon sprach, man befinde sich «auf der Talsohle der Konjunktur», begriffen alle erleichtert, dass es bald wieder aufwärts gehen werde, denn tiefer als bis zur Talsohle ging es ja nicht. Herzstück des «Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft», das im Juni 1967 verabschiedet wurde, war die «Konzertierte Aktion» zwischen den Sozialpartnern. Als Grundlage dieses «Stabilitätsgesetzes» fungierte das «Magische Viereck»: Wirtschaftswachstum, Preisstabilität, Vollbeschäftigung und außenwirtschaftliches Gleichgewicht.
    Die antizyklische Konjunkturpolitik war ein Gemeinschaftswerk von Wirtschaftsminister Schiller und dem wieder in die Bundespolitik zurückgekehrten Finanzminister Franz Josef Strauß (CSU), der vom Sparsamkeitseifer seiner Vorgänger abrückte und eine dosierte Staatsverschuldung für vertretbar hielt, wenn damit die Konjunkturangekurbelt werden konnte. Die «Mittelfristige Finanzplanung» für die Jahre 1967 bis 1971 sollte eine mehrjährige Ressourcenplanung für die Aktivitäten einzelner Ressorts festlegen. Betört vom kongenialen Auftreten der beiden Minister, die sich erstaunlich gut verstanden und frei nach Wilhelm Busch als «Plisch und Plum» bezeichnet wurden, nannte der Volksmund diese Planung liebevoll «MiFriFi». Später erwies sich freilich, dass «MiFriFi» an Zauberkraft einbüßte. Denn die Komplexität der Wirklichkeit ließ sich kaum erfassen; einerseits bestand ein Mangel an relevanten Informationen, andererseits wiederum ein Überangebot an Informationen, das nicht bewältigt werden konnte. Die größte Unbekannte in der MiFriFi-Gleichung war jedoch der Eigensinn der Planer, Verwalter oder «Beplanten»: Menschen tun nicht immer, was man von ihnen erwartet.
    91. Waren die «Gastarbeiter» wirklich Gäste? Gäste lässt man gewöhnlich nicht für sich arbeiten – folglich können «Gastarbeiter» auch keine Gäste sein. Woher kommt also der Begriff? Als «Gastarbeiter» wurden von den 1950er bis in die 1980er Jahre im öffentlichen Sprachgebrauch der Bundesrepublik ausländische Arbeitnehmer bezeichnet, die infolge der Anwerbeabkommen nach Deutschland kamen. Wegen des akuten Mangels an Arbeitskräften drängte die deutsche Wirtschaft zu solchen Verträgen, die die Bundesrepublik insbesondere mit Mittelmeerstaaten, darunter Italien, Türkei, Spanien, Portugal, Griechenland, Marokko, Tunesien und Jugoslawien, schloss. Ausländische Beschäftigte aus westlichen Staaten wurden hingegen nicht Gastarbeiter genannt. Offiziell, das heißt verwaltungsintern, wurde generell von «ausländischen Arbeitnehmern», im europäischen Kontext auch von «Wanderarbeitnehmern» gesprochen. Die heutige Bezeichnung lautet: «Arbeitsmigranten». Unter «Gastarbeiter» versteht man genau genommen die Zuwanderer der ersten Generation, also diejenigen der 1960er und 1970er Jahre. Ohne diese wäre der deutsche Wirtschaftsboom in sich zusammengebrochen.
    Die Beschäftigung von ausländischen Arbeitern in der deutschen Industrie war keine Erfindung der Nachkriegspolitik. Zur Zeit des ersten Anwerbeabkommens 1955 mit Italien war die – später vergessene – Erinnerung an die millionenfache Beschäftigung von Russen, Polen, Italienern und Belgiern in der deutschen Schwerindustrie und in der ostelbischen Landwirtschaft seit Beginn des 20. Jahrhunderts noch frisch. Man hatte sie «Fremdarbeiter» genannt, genauso wie diewährend der beiden Weltkriege millionenfach beschäftigten Zwangsarbeiter. Im Sommer

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