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Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Jahraus
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Band abgeschlossen, 1755 der zweite, 1768 der dritte, 1773 der vierte, während Klopstock schon längst begonnen hatte, die ersten Bände wieder umzuarbeiten. Der
Messias
erzählt die Geschichte von Jesus, aber er greift nichtnur auf die Evangelien des Neuen Testaments zurück, sondern auch auf die Apostelgeschichte und vor allem die Offenbarung des Johannes; es gibt waghalsige Bilder und beeindruckende Phantasien, Apokalypsen und Endzeitstimmungen.
    Die religiöse Thematik ist ein integraler Bestandteil des lyrischen Schaffens Klopstocks – und genau das ist es, was ihn später unmodern werden lässt. Doch zunächst ist sein Dichtungsverständnis radikal neu. Dichtung ist für ihn eine Emotionalisierungsmaschine. Die lyrische Sprache, ihre metrische Strukturierung in Hexametern, ihr hoher Stil dient nur dazu, eine formale Grundlage im Zusammenhang mit seinen religiös fundierten Themenstellungen zu schaffen, um das Gefühl des Lesers anzusprechen und zu aktivieren. Seine Texte setzen eine laute Lektüre voraus, und der Rhythmus der Sprache wird nun seinerseits zu einem Medium, um das Gefühl regelrecht körperlich spürbar werden zu lassen.
    Klopstocks Wirkung ist auf einem letzten Höhepunkt, als am 12. September 1772 junge Autoren aus Göttingen sich zum Göttinger Hainbund zusammenschließen. Ihm gehören unter anderen als wohl berühmteste Mitglieder Johann Heinrich Voß (1751–1826) und Ludwig Christoph Heinrich Hölty (1748–1776) an. Der von Heinrich Boie (1744–1806) gegründete
Göttinger Musenalmanach
wird zu ihrem Publikumsorgan. In ihren Gedichten geht es noch einmal um diese starke Emotionalisierung des Lesers durch eine spezifisch indizierte Naturerfahrung. Am interessantesten ist wohl der Umstand, dass das Gefühl nicht nur als soziale Struktur in der Freundschaft verwirklicht werden soll, sondern dass der Schriftstellerverbund auslebt, wovon er schreibt. Es entsteht ein hochgradig emotionalisierter Freundschaftskult, für den Klopstock die alles bestimmende Vorbild- und Vaterfigur war, und der seinerseits das Vorbild für eine weite Verbreitung der Freundschaft als Sozialmodell auf emotionalisierter Basis abgab.
    Die Autoren des Göttinger Hain trafen sich mit den jungen Sturm-und-Drang-Autoren jener Zeit in ihrer Rationalismuskritik. Was ursprünglich einmal als rationalistische Entdeckung des Gefühls begonnen hatte, hat sich nunmehr in eine Rationalismuskritik verwandelt. Es geht nicht mehr darum, Gefühl rational zu begründen und zu instrumentalisieren, sondern es geht darum, den Rationalismus auf der Basis von Emotionalität zu überwinden. Doch schon die Göttinger Autoren haben sich von dem religiösen Fundament, ohnedas Klopstocks Werk nicht möglich wäre, abgewandt und zu einer – wenn man so will – Säkularisierung des Gefühls beigetragen. Das hing auch mit veränderten ästhetischen Vorstellungen von Autorschaft zusammen. Der englische aufklärerische Philosoph Shaftesbury (1671–1713) hatte den Künstler schon als second maker (nach Gott) charakterisiert. Im Sturm und Drang wird auch diese Vorstellung radikalisiert. Der Autor ist Gott nicht nachgeordnet und stellt sich mehr und mehr in seinem eigenen Selbstverständnis an die Stelle Gottes. Klopstock war für die Stürmer und Dränger kein Vorbild mehr. Er hatte sich überlebt.
    43. Was geschah in Sesenheim? Etwas Wahres wird auch dran gewesen sein, an einer Liebesgeschichte, die zu einem neuen Paradigma der Lyrik führte. 1770 studierte Johann Wolfgang Goethe (1749–1832) in Straßburg. Im Oktober nahm ihn sein Kommilitone und Freund Friedrich Leopold Weyland (1750–1785), der Elsässer war und sich in der Gegend um Straßburg auskannte, mit zu dem Pfarrer Johann Jakob Brion, der in einem kleinen Ort namens Ses(s)enheim wohnte. Dort lernte Goethe dessen Tochter Friederike Elisabeth Brion (1752–1813) kennen und verliebte sich wohl in sie. Es entspann sich eine Liebesgeschichte, die im Winter begann und über den Sommer anhielt. Als der Sommer sich dem Ende zuneigte und Goethe im August 1771 nach Frankfurt zurückkehrte, war die Geschichte zu Ende. Wie leidenschaftlich diese Liebe war, ob – wie man heute sagt – die beiden etwas miteinander gehabt hatten, kann niemand, wie das bei intimen Verhältnissen so ist, mit Sicherheit sagen.
    Und in dieser Zeit soll Goethe die Lyrik revolutioniert haben. Das ist nicht ganz richtig. Tatsächlich hat Goethe in dieser Phase eine ganze Reihe von Gedichten geschrieben, die man später

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