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Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Jahraus
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Begegnung Fausts mit Gretchen ergibt und Faust sich verliebt, unternimmt Mephistopheles alles, um die beiden zusammenzubringen, und schreckt dabei auch vor Mord nicht zurück, zu dem er die beiden Liebenden provoziert. Sosehr nun Faust mit Mephistopheles Gretchen in eine Situation gebracht hat, in der sie Faust begehrt und ihrem Begehren keinen moralischen Einhalt mehr gebieten kann, so spürt sie doch, dass diese Verführung nicht mehr in der für sie gültigen und durch die Religion gewährleisteten Ordnung stattfindet, und stellt Faust daher die berühmte Gretchenfrage: «Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?» Auch wenn der Teufel seine Wette nicht gewinnen kann, so kann doch Faust diese Frage nicht mehr beantworten. Wo Gretchen dann ihr eigenes Kind tötet, zeigt Goethe sie uns nicht so sehr als Täterin, sondern als Opfer. Und insofern kann sie am Ende des ersten Teils des Dramas auch Erlösung erfahren.
    So unterschiedlich Rahmen- und Binnenwette auch gestaltet sind, gerade die Idee der absoluten Gegenwart im Augenblick als Ende der Zeit des Menschen lässt einen Rückbezug zur Rahmenwette zu. Auch dort war die Rede davon, dass der Mensch irre, solangeer strebe, was aber auch bedeutete, dass er strebe. Das Streben, diese unaufkündbare Prozessualität des menschlichen Lebens, scheint eine anthropologische Grundbedingung zu sein, und die Wette mit dem Teufel scheint nur eine gigantische Inszenierung Gottes zu sein, um das Menschsein des Menschen ein für alle Mal unter Beweis zu stellen. Einen solchen Augenblick kann es nicht geben, und wenn es ihn gäbe, dann würde der Mensch genau in diesem Augenblick nicht nur aufhören zu existieren, sondern auch Mensch zu sein. Insofern sind absolutes Präsens und der Tod äquivalent. Das erklärt auch den Widerspruch zwischen den beiden Wetten, auf die schon Eibl aufmerksam macht, auch wenn hier ein anderer Vorschlag zur Auflösung gemacht wird. Dass Mephistopheles sich «mit den Toten/[…] niemals gern befangen» will (V. 318f.), wie er dem Herrn gegenüber äußert, aber Faust gegenüber seine Wettbedingung im Falle seines Wettverlustes so erklärt, dass Faust dann «drüben» (V. 1668) ihm so dienen soll, wie Mephistopheles ihm auf Erden gedient hätte, verweist noch einmal auf die Unmöglichkeit für Mephistopheles, die Wette zu gewinnen. Das gibt Gott zumindest ex negativo die unabdingbare Zuversicht in seine notwendige Oberhoheit über den Teufel.
    56. In welchem Roman Goethes tragen alle wichtigen Figuren denselben Vornamen und warum nur? Goethes relativ später Roman
Die Wahlverwandtschaften
aus dem Jahre 1809 gilt als einer der rätselhaftesten Romane und hat dementsprechend große Interpretationsbemühungen auf sich gezogen. Er beginnt wie eine versteckte Fortsetzungsgeschichte des
Werther
. Eduard liebte Charlotte, konnte sie aber nicht heiraten, da sie schon vergeben war. Nach dem Tod ihres Mannes jedoch ist der Weg frei, die Liebesheirat nachzuholen, und die beiden Adeligen haben alle Chancen, eine glückliche Ehe zu führen. Der Umgestaltung ihres riesigen Anwesens in einen Landschaftspark nach englischem Muster widmen sie ihre ganze Zeit. Genau an dieser Stelle beginnt der Roman, und er beginnt geheimnisvoll. «Eduard – so nennen wir einen reichen Baron im besten Mannesalter …» – die natürlichste Verbindung von Zeichen und was sie bezeichnen, nämlich Eigenname und Person, wird schon in den ersten Worten des Romans als Setzung eines Erzählers ausgegeben. Und im weiteren Verlauf wird dieser Roman nicht mehr aufhören, solche Verbindungen von Zeichen und Bezeichnetem zu problematisieren.
    Eduard will seinen in Not geratenen Freund, den Hauptmann, auf das Anwesen holen, was seine Frau Charlotte zunächst nicht gutheißt, weil sie fürchtet, dass dies ihre Zweisamkeit stören könnte. Um einen Ausgleich für dieses Störpotenzial zu schaffen, soll dann auch noch eine weibliche Figur das Ensemble ergänzen, Ottilie, die junge Nichte von Charlotte, die sich schwertut, den Anforderungen eines hektischen Schulbetriebs gerecht zu werden. In diesem Zusammenhang kommt die Gleichnisrede von den Wahlverwandtschaften auf. Das ist eine Metapher aus der Chemie. So wie sich bestimmte Elemente zueinander verhalten, so verhalten sich auch Menschen zueinander. Soziale Verhältnisse sind kompliziert geworden in einer modernen Gesellschaft. Es ist Eduard und Charlotte bewusst, dass sie in ihrem Landgut wie auf einer Insel der Seligen leben, aber das Leben

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