Die 101 wichtigsten Fragen - die Bibel
Schwangerschaft zu überbringen – eine Szene, die in der christlichen Kunst klassische Geltung erhalten hat. Nur bei Matthäus wird die Jungfrauengeburt durch ein Prophetenwort unterstrichen: Bereits Jesaja habe die Geburt des Heilands von einer Jungfrau vorhergesagt (Jesaja 7,14; wo in Wirklichkeit von einer «jungen Frau» die Rede ist); solche vorausweisenden Orakel waren in der Antike beliebt.
Der katholischen Tradition gilt Jesus als Sohn einer Jungfrau; als wahrer Sohn Gottes habe er keines irdischen Vaters bedurft. Doch «die Lehre vom Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer normalen menschlichen Ehe hervorgegangen wäre», schrieb Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., 1968 in seiner
Einführung in das Christentum.
In der Religionswissenschaft werden heute zwei Interpretationen erörtert: (1) Josef ist nicht der Vater Jesu. Die Legende von der Jungfrauengeburt könnte eine historische Erinnerung aufbewahren – nämlich an Jesus als uneheliches Kind. (2) Josef ist Jesu wirklicher Vater. Der biblische Bericht ist als Legende zu beurteilen. Einem Heldenschema verpflichtet, schreibt sie Jesus besondere Geburtsumstände zu. Diese sollen seine spätere Bedeutung erzählerisch vorbereiten. Berufen kann sich die Legende auf Jesus selbst, der Gott seinen Vater nannte.
Ein ähnlicher Fall von Heroisierung findet sich in der Überlieferung über den griechischen Philosophen Platon: Es heißt, Ariston sei nicht der wirkliche Vater des Philosophen. Auf Weisung des Gottes Apollon, der ihm erschienen sei, habe Ariston mit der schönen Periktione erst nach der Geburt von deren Sohn Platon verkehrt; der wahre Vater Platons aber sei der Gott Apollon selbst (überliefert von Diogenes Laërtios,
Leben und Lehre der Philosophen
, 3. Jahrhundert n. Chr.).
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Der Auferstandene und Maria Magdalena.
In ein weißes Tuch gehüllt, das seine Lenden bedeckt, wendet sich der auferstandene Christus der vor ihm knienden Maria Magdalena zu und sagt: «Berühre mich nicht» (oft lateinisch zitiert:
noli me tangere).
Keine Wunde verunstaltet seinen Leib. Der Künstler gibt Christus eine Harke in die Linke: Dies entspricht dem Johannes-Evangelium (20,15), nach dem Maria Magdalena den Auferstandenen zunächst für einen Gärtner hält. Auffällig ist die zwar keusch verhüllte, doch sichtbare Männlichkeit Jesu, die Maria Magdalena nicht berühren darf. – Tizian, ca. 1514; National Gallery, London.
25. War Maria Magdalena Jesu Geliebte? Der Name Maria Magdalena bedeutet «Maria aus dem Ort Magdala», einem Dorf am See Gennesaret. Maria gehörte zu einem Kreis von Anhängerinnen Jesu, die den Meister begleiteten und unterstützten (Lukas 8,1–3). Markus schildert sie – anonym, doch leicht erkennbar – als Frau, die Jesus mit kostbarem Öl liebevoll salbt (Markus 14,3–9). Bei Markus steht auch: Überall, wo man das Evangelium verkünde, werde ihrer gedacht. Als erste entdeckt sie Jesu leeres Grab, und der Auferstandene zeigt sich ihr zuerst (Markus 16; Johannes 20,1–18;
Abb. 8
). Der Evangelist Johannes scheint ihre Identität unter der Bezeichnung «der Jünger, den Jesus liebt» zu verbergen – jedenfalls nach einer erwägenswerten Deutung dieses Ausdrucks (Johannes 13,23; 19,25–27). Solche verstreuten Notizen lassen etwas von der Bedeutung ahnen, die Maria Magdalena gehabt haben muss. Sie war zweifellos die führende Gestalt unter den weiblichen Jüngern Jesu. Wer weit gehen will, mag in ihr die Gefährtin Jesu sehen. Roman- und Filmautoren spinnen die Geschichte weiter und lassen Maria einen Sohn zur Welt bringen, der Jesus zum Vater hat; doch damit ist der historische Befund längst verlassen.
26. War Paulus ein Frauenfeind? Über Frauen äußert sich Paulus in seinen drei Hauptbriefen – Römer, Galater, 1 Korinther – in sehr unterschiedlicher Weise.
Galater- und Römerbrief bieten ein modern anmutendes Bild: Alle Gläubigen sind durch die Taufe neue Menschen geworden; während sie vor der Taufe Freie, Sklaven, Juden, Männer und Frauen waren, sind sie nun alle gleich (Galater 3,26–28). Den Brief an die Römer, den Paulus von Korinth abschickte, lässt er von Phoebe zustellen, die er als seine «Schwester» bezeichnet. In Rom grüßt er neun Frauen und doppelt so viele Männer. Junia nennt er «Apostelin», Priska könnte die Leiterin einer Hausgemeinde sein. Alle werden aufgefordert, einander herzlich zu umarmen und so ihre Liebesgemeinschaft zu demonstrieren. So entsteht der
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