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Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus

Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Arndt
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linguistisch, kulturell oder gesellschaftlich klassifizierbare Gruppen beziehen.
    Ursprünglich war «Barbaren» im Griechischen ein «Schallwort», das den Griechen unvertraut klingende Lautbildungen und unverständliches Sprechen nachahmen sollte. Aus Sicht der Griechen verfügten die so Bezeichneten wie Tiere über keine menschliche Sprache. Letztlich meinten sie damit alle Nicht-Griechen. Im Kontext des modernen Kolonialismus wurde der Begriff aufgegriffen und auf People of Color übertragen. Auch ihnen wurde nun unterstellt, sie besäßen keine (richtige) Sprache – und seien deshalb keine «richtigen» Menschen. Tausende von Sprachen Afrikas, der Amerikas, Asiens und Australiens wurden in kühnem Duktus als Dialekte bezeichnet – und verboten. People of Color wurden gezwungen, die Kolonialsprachen zu lernen, nicht ohne zu betonen, dass diese intellektuell von der Komplexität
dieser
Sprachen
natürlich
überfordert seien.
    In diesem Kontext entstand auch «Hottentotten» als Wortschöpfung, die aus dem Niederländischen ins Deutsche übernommenen wurde, womit all jene Gesellschaften des südlichen Afrika in einen Topf geworfen wurden, in deren Sprachen implosive Konsonanten, so genannte «Schnalzlaute» oder
Clicks,
vorkommen.
    Genau genommen müsste jene Gesellschaft, die als «Buschmänner» bezeichnet wird, ebenfalls zu den «Hottentotten» zählen, dennauch ihre Sprache baut auf ein komplexes System von Clicks auf. Unter dem Begriff «B.» wurden jedoch verschiedene Völker zusammengefasst, die in der Halbwüste Kalahari leben. Nicht zuletzt, weil diese Gebiete von Weißen schwerer zu kontrollieren (und zu unterwerfen) waren, wurden sie als
noch
naturverbundener als andere Schwarze deklariert.
    Dieser Ansatz gipfelt in der Annahme, dass «B.» eine Affenart seien. So schreibt ein Kolonialist in seinem «Jagdtagebuch»: «Am leichtesten sind diese gelben Halbaffen abzuschießen, denn sie können mit ihren zwei Beinen nicht so schnell flüchten wie die vierbeinigen Wildtiere.» In der Hinsicht erging es ihnen wie den «Pygmäen». Der Anthropologe und Arzt Edward Tyson erklärte, sie seien Affen und keine Menschen. «Umgekehrt war der Glaube weit verbreitet», bemerkt Christian Koller, «die Menschenaffen seien eine niedere Spezies Mensch, die sich nur zu sprechen weigerten, damit sie nicht versklavt würden.»
    Im Begriff «B.» drückt sich zudem, ebenso wie in «Häuptling» oder «Medizinmann», die Logik aus, gesellschaftliche Phänomene nur mit Männern zu assoziieren. Dadurch kommt es nicht selten zu eigentümlichen Sprachverrenkungen, die die Absurdität dieser Begriffe (ungewollt) unterstreichen. So heißt es etwa im aktuellen
Duden
zum Begriff «B.»: «Angehöriger eines in Namibia, Botswana und Angola lebenden Volkes;
Buschmannfrau.»
    54. Wer mauschelt?   Wer «mauschelt» lügt, handelt undurchsichtig oder unredlich. Es werden unter der Hand Vorteile ausgehandelt oder Geschäfte gemacht, die jemanden übervorteilen. Der Gebrauch des Wortes ist vielen Deutschen geläufig. Nicht alle aber wissen, dass diese Idiomatik antisemitisch belastet ist.
    Der Begriff «mauscheln» geht auf «Mausche» – die jiddische Bezeichnung für Moses – zurück. «Mausche» war ein abwertendes Wort für das Jiddische, wobei die verwandte Verbform meinte «wie ein jüd. Händler Geschäfte machen» (
Duden. Deutsches Universalwörterbuch
). Damit drückt sich im Wort «mauscheln» – ähnlich wie in «Barbar» und «Hottentotten» – die Annahme aus, dass die Sprache und das Sprechen der «Anderen» eine Nicht-Sprache sei. Dabei wird der Ansatz, das Jiddische als unverständlich abzuwerten und als Verständigungsmittel einer minorisierten Gruppe zu beschreiben, mit der Unterstellung verknüpft, im Jiddischen – also in dem, was manchenicht verstehen – vollziehe sich Betrügerisches. Diese im Antisemitismus verwurzelte Logik hat sich in «Mauscheln» als Name eines Glücksspiels eingeschrieben, bei dem das Unterstellen von Betrug zu den Spielhandlungen gehört.
    55. Wo leben Kannibalen?   Kannibalen sind Menschen, die andere Menschen oder menschliche Körperteile essen – in Notsituationen, aufgrund von psychischen Erkrankungen, im religiösen Eifer. Solche Menschen hat es immer gegeben, überall. Es gibt aber keine Gesellschaft, der Menschenfleisch als Nahrungsquelle dient. Wenn wir heute – ob in Daniel Defoes
Robinson Crusoe
oder Astrid Lindgrens
Pippi Langstrumpf
– von Kannibalismus lesen, handelt es

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