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Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus

Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Arndt
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die Wunden nicht heilen, nur gelegentlich weniger schmerzen. Jenseits des Traumas wird der Verzicht darauf, sich zu erinnern, zum aktiven Prozess, sich der Erinnerung zu widersetzen. Sich zu erinnern heißt, die Arbeit auf sich zu nehmen, das Gestern zu besuchen. Nichts wird danach so sein, wie es war. Man kann sich an Vergangenem erfreuen und daraus neue Kräfte schöpfen, es kann aber auch mühevoll und freuderaubend sein, das Vergangene zu begreifen und zu verkraften. Erinnerung ist keine Wellness-Oase, sondern bedeutet Arbeit, erst recht, wenn es um Aufarbeitung geht, die sich dem Vergessen widersetzt und den Horizont in weiter Ferne weiß. Aufarbeitung ist nie abgeschlossen.
    Es ist eine ansehnliche Bibliothek vollgeschrieben worden, die sich Kolonialismus und Sklaverei widmet; das ändert nichts daran, dass in ganz Europa Kolonialismus laut beschwiegen und weitgehend verharmlost wird. Afrikanische Intellektuelle wie der nigerianische Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka haben in den letzten Jahrenwiderholt daraufhingewiesen, dass die europäische Kolonialgeschichte in Afrika bislang keine gesellschaftspolitische Aufarbeitung erfahren hat. Es fehlt an öffentlichen Debatten, Museen und Denkmälern, die dieses Kapitel thematisieren. Wo Kolonialismus aber nicht aufgearbeitet wird, kann er die Gegenwart mental ungebrochen prägen.
    Dazu ein Beispiel: Am 23. Februar 2005 stimmte Frankreichs konservative Partei UMP für ein Gesetz, wonach französische Lehrer_innen und Schulbücher verpflichtet seien, die positive Rolle, die Frankreich im Ausland und speziell in Nordafrika gespielt habe, anzuerkennen. Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika unterschieb den Friedensvertrag mit Frankreich nicht und der berühmte Dichter der Negritude und Politiker Martiniques Aimé Césaire sagte ein Treffen mit Nicolas Sarkozy ab, weshalb dieser seine geplante Reise dorthin nicht antrat. Anfang 2006 widerrief Jaques Chirac dieses Gesetz nach massiven Protesten aus dem In- und Ausland.
    Auch in Deutschland fragen Schulbücher und Lehrer_innen nach den Vorteilen des Kolonialismus, etliche Denkmäler und Straßennamen ehren die Protagonist_innen des deutschen Kolonialismus. Zudem gibt es unzählige Museen, die koloniales Raubgut ausstellen, statt es den rechtmäßigen Eigentümern wiederzugeben. Das ist in Europa keine Seltenheit. Es gibt keine Garantie, dass Erinnerung versöhnt und heilt. Darum kann es aber auch nicht gehen, sondern allein darum, sich seiner Geschichte verantwortlich zu stellen.
    75. Was lieben wir an Winnetou?   Es gibt zwei Arten von Blockbustern, die über die Zeit erzählen, in denen Weiße die ursprünglichen Bewohner_innen Nordamerikas verdrängten. Die einen, die «Cowboy-Filme», erzählen von Männergesellschaften, die sich das nordamerikanische Landesinnere mit harter Arbeit und im Angesicht täglicher Gewalt unterwerfen. Hier tauchen die eigentlichen Bewohner_innen dieser Territorien in Horden, mit Kriegsbemalung und einer Vorliebe für Skalps von Weißen auf. Sie sind die «Bösen». Daneben gibt es die «Indianerfilme», die den Blick umdrehen. Auch hier begegnen wir kämpfenden und kriegsbemalten Männern. Sie aber haben Mut und Sinn für Gerechtigkeit. Genaugenommen ist es ihr unbändiger Drang nach Freiheit, die Figuren wie Karl Mays
Winnetou
zu einer Art Weltkulturerbe werden ließen, wobei im Genuss der seichten Unterhaltung ausbleibt, das Morden der Weißenals Teil der eigenen Herkunftsgeschichte zu verstehen. Doch wie erklärt sich, dass Winnetou
weißen
Zuschauer_innen als Identifikationsfigur dient?
    Im Kern hat das damit zu tun, dass sich Winnetous Freiheit von der europäischen unterscheidet. Während Old Shatterhand eine Ikone der
zivilisiert
gelebten Freiheit ist, verkörpert Winnetou (in seiner ungebändigten Nähe zur Natur) eine Freiheit, die – wie Jean-Jacques Rousseau es in seinen Ausführungen zum «Noblen Wilden» formulierte – sich allein den Gesetzen von Natur und Klima unterwirft. In Rousseaus Lesart schließt dies ein, dass «sie» ohne Gesetze, Polizei und Religion lebten. In den
Winnetou
-Filmen setzt sich das darin fort, dass Winnetou auf eine Art Teletubby-Sprache reduziert wird. Weil ihre Freiheit daher als eine unterlegene erscheint, erschüttern sie auch nicht wirklich die Erzählungen, die keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
weißen
Eroberung der Amerikas mit den dazugehörigen Verbrechen lassen.
    Viele Millionen – genaue Zahlen sind umstritten –

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