Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus
Kautskys generelle Ablehnung des Kolonialismus.
Im Zuge der «1968er» globalen Bewegungen erlebte der Feminismus in zahlreichen Ländern einen neuen Aufschwung. Er orientierte sich ebenfalls global, partizipierte an den Schwarzen Bürgerrechtsbewegungen, und Schwarze Feministinnen plädierten dafür, Geschlecht im strikten Zusammenhang mit Klasse und
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zu denken – im deutschen Feminismus kam davon praktisch nichts an.
Die Primärsetzung der Kategorie Geschlecht verstellte den Blick auf die Komplexität von Diskriminierungsprozessen. Wo dieser Tunnelblick waltet, wird weder die eigene historische Verankerung im Kolonialismus thematisiert noch, dass
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Frauen Akteurinnen und Profiteurinnen des Rassismus sind. In der Realität bedeutet das: Nicht-westliche Kulturen werden in diesen Feminismusdebatten entweder völlig ignoriert oder marginalisiert oder aber die Situation und Problemlagen von Frauen in anderen Teilen der Welt werdenallein ausgehend von Erfahrungen, Perspektiven und Problemen
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westlicher Kulturen betrachtet. Dafür ein Beispiel: Als 1999 Alice Schwarzer eine Jubiläumskonferenz zum deutschen Feminismus organisierte, lud sie 245 Vertreterinnen (mindestens eine pro europäisches Land) ein, aber den gesamten afrikanischen Kontinent sollte allein die nigerianisch-US-amerikanische Obioma Nnaemeka «vertreten». Die Vielfalt feministischer Bewegungen in Afrika war der deutschen Feminismuspäpstin vielleicht entgangen. Wahrscheinlicher aber ist, dass sie diese nicht nur nicht kennt, nicht nur nicht kennen will, sondern auch noch als uninteressant und auf «niedrigem» Niveau abtut.
Diese Konstellation ist ein fruchtbarer Boden für (kolonialistische) Glaubensgrundsätze. Denn auf diesem gedeihen Diskussionen über genitale Beschneidung oder Kopftücher, die sich kaum bemühen, der Vielstimmigkeit von aktiv involvierten Frauen zuzuhören und dadurch das tun, was der Feminismus am meisten hasst: Frauen nicht sprechen zu lassen, sondern über sie zu sprechen, paternalistisch besser zu wissen, was gut und was schlecht für sie ist und was wie zu ändern wäre.
In Afrika gibt es viele feministische Bewegungen, Projekte, Debatten – so wie in Europa oder den USA. In Deutschland gründete sich am 24. September 1986 mit ADEFRA die erste Vereinigung Schwarzer Frauen, die Rassismus ebenso die Stirn bietet wie diversen Formen von geschlechtsspezifischer Diskriminierung. Mehrere Buchprojekte der ADEFRA dokumentieren die Geschichte Schwarzer widerständiger Frauen in Deutschland und stellen
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(und auch angeblich feministische) Erzählungen über People of Color hierzulande infrage.
73. Sind nur Rechtsradikale Rassist_innen? Unter diesem Begriff werden – ähnlich dem Rechtsextremismus – politische und ideologische Strömungen vereint, die rassistisch, chauvinistisch, autoritär, nationalistisch, sexistisch argumentieren. Historisch etablierte sich der moderne Rechtsradikalismus weltweit im Zuge des Ersten Weltkrieges. Mit faschistischen Diktaturen und der NS-Diktatur hat er im 20. Jahrhundert in Europa, aber auch in Südamerika zeitweise die Herrschaft ausgeübt. Er gehört auch heute noch in fast allen europäischen Staaten und den USA zu einer ernstzunehmenden Erscheinung.
In Deutschland ist der Rechtsradikalismus immer wieder unterschätzt worden, obwohl allein seit 1990 seine Blutspur mit mindestens 200 Ermordeten und einigen regelrechten Pogromen unübersehbar ist. Politik, Polizei, Geheimdienste und Justiz haben ihn immer wieder unterschätzt, wie jüngst an der Mordserie des «Nationalsozialistischen Untergrunds» erneut deutlich wurde.
Ein Problem bei der Bekämpfung des Rechtsradikalismus besteht darin, dass vor allem konservative Parteien dazu neigen, Teile der Unterstützer_innen des Rechtsradikalismus in Wahlkämpfen an sich zu binden, indem sie deren Reservoir rassistischer Forderungen aufgreifen und in einer «übersetzten», vermeintlich harmlosen Sprache vertreten. Ein anderes Problem der Bekämpfung des Rechtsradikalismus besteht darin, dass oft so getan wird, als gebe es Rassismus nur in diesem Milieu und als seien alle, die sich gegen Rechtsradikale stellen, automatisch Anti-Rassist_innen.
VI. Rassismus – Widerstand, Erinnerung und Aufarbeitung
74. Was heißt Erinnerung und Aufarbeitung? Sich nicht zu erinnern, heißt nicht, nicht zu handeln. Das Trauma kennt diesen Weg, sich der Möglichkeit zu entziehen, für Geschehenes Worte zu finden, und weiß auch, dass
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