Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus
Prospero im Exil auf der Insel lebt, sich in den Prinzen Ferdinand verliebt und seufzt, dass dies der dritte Mann sei, den sie in ihrem Leben sehe – also nach Prospero und: Caliban. Caliban ist demnach ein Mensch. Prospero ist klug und weiß auch, dass er und seine Tochter von ihm abhängig sind und von ihm «profitieren». Und ihm ist geläufig, dass Caliban, den er versklavt hat, nie mit einer freundlichen Antwort aufwartet (1.2. 308–14). In der Tat ist Calibans widerständiges Verhalten das Erste, was das Publikum von ihm – noch off-stage – vernehmen kann. Von Prospero aufgefordert, ihm Feuerholz zu holen, entgegnet Caliban patzig, dass er selbst noch ausreichend Holz habe. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass in einer Ära, in der Schwarze auf elisabethanischen Bühnen rar sind und kaum jemals sprechen, Shakespeares Caliban genauso wie Prospero im Blankvers spricht und diesem daher sprachlich auf Augenhöhe begegnet. Prosperos Macht entspringt seiner Gewalt, mit der er sich Caliban gefügig gemacht und seiner Insel beraubt hat. Diese verlangt Caliban zurück. Wenn er Prospero in gewähltem Englisch erklärt, dass er für seine Dienste nicht zur Verfügung stehe, weil er «dinieren» müsse – ist das angesichts seines Namens, der ein Anagram von
cannibal
darstellt, durchaus auch als Drohung zu verstehen.
Im Wissen, dass er zu schwach ist, Prospero allein zu stürzen, sucht Caliban ein Bündnis mit Stephano und Trinculo, den Repräsentanten unterdrückter Schichten. Um ihre fehlende Solidarität und ihre koloniale Gier wissend, gibt Caliban vor, dass er ihr Sklave sei und ihnen Feuerholz einsammeln werde. Während sie (ihm) glauben, dass die «neue Welt» tatsächlich mit «Feuerwasser» zu erobern sei, gibt sich Caliban betrunken und dumm, während er sein Freiheitsliedsingt, in dem er erklärt, dass es ihn künftig weder kümmere, dass sie in ihm einen Fisch sehen, noch wenn sie Feuerholz oder andere Dienste von ihm haben wollen. Caliban werde ein neuer Mensch und sein eigener Herr werden: «Freedom, hey-day! hey-day, freedom! freedom,/hey-day, freedom!». (2.2. 181–182)
Shakespeare mag diesen widerständigen Caliban erfunden haben, um die Kolonisierten zu ermuntern, wie dieser zu revoltieren; zumindest aber bezeugt Caliban seine Auffassung, dass Kolonialismus ohne Gewaltausübung nicht zu haben ist und niemand glauben solle, dass man den Kolonisierten ihr Land, ihre Freiheit und ihr Leben nehmen könne, ohne dass diese Widerstand leisten.
77. Was bedeutet Abolitionismus? In Abolitionismus steckt das englische Wort
to abolish,
abschaffen. Es geht um die Abschaffung der europäischen Versklavung afrikanischer Menschen. Das ist insofern kein Novum, als dies die versklavten Menschen selbst immer wollten und dafür kämpften. Abolitionismus bezeichnet daher genauer eine Bewegung, die den Widerstand mittrug und als in
weißen
Strukturen verankert ansah. Er konnte sich auch ohne widerständige Gewalt ausdrücken, was ihm wiederum breiteres Gehör unter Weißen verschaffte. Neben religiösen Personen und Verbänden, allen voran den Quäkern, waren
weiße
Künstler_innen, Jurist_innen und Politiker_innen Protagonist_innen des Abolitionismus. So aufgestellt, führte der Abolitionismus in einem Jahrhunderte währenden beharrlichen Kampf an verschiedenen Fronten Gesetze zur Freilassung Einzelner und schließlich zur Abschaffung der Sklaverei in mehr und mehr Ländern herbei. Zwar wurde dies in vielen Einzelschritten auf nationaler Ebene realisiert, dennoch ist der Abolitionismus wohl die erste global interagierende Befreiungsbewegung der Geschichte. Dabei verdankt sich sein Erfolg dem Zusammenspiel verschiedener, oft sogar konträrer persönlicher und staatlicher, ökonomischer und ethischer, weltlicher und religiöser Interessen auf nationaler wie supranationaler Ebene und dem Verbund militärischer, religiöser, literarischer und juristischer Widerstandsformen. Im Kern ging es dem Abolitionismus darum, die Sklaverei als ökonomisches System zu Fall zu bringen und/oder die Menschenrechtsverletzungen, die sie ermöglichte, zu stoppen. Dabei fiel die Abschaffungsidee selten grundsätzlich aus und nur von wenigen wurde Rassismus als Teil des Systems begriffen und bekämpft. Die UnabhängigkeitserklärungHaitis wird die einzige Verfassung bleiben, die Sklaverei ebenso explizit verbietet wie rassistische Diskriminierung. Das Jahr 2004, jenes Jahr, in dem sich die Unabhängigkeit Haitis zum 200. Mal jährte,
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