Die 2 Chance
fing an zu lesen.
»
Arier… schlimmer als Arier. Alles Max-Typen. Weiß, böse und voller Hass. Wir wussten nicht, wen sie mehr hassten, uns, die ›Horde‹, mit denen sie die Mahlzeiten teilen mussten, oder die Aufseher und die Bullen, die sie in den Knast gebracht hatten.
Diese Schweine hatten sich einen Namen gegeben. Sie nannten sich Chimäre…
«
Meine Augen hingen an diesem Wort.
»Das sind Tiere, Lindsay. Die schlimmsten Unruhestifter im gesamten Strafsystem. Sie haben sich sogar geschworen, auch draußen füreinander zuzuschlagen. Das sind die guten Nachrichten«, sagte sie. »Die schlechten sind, es handelt sich um Pelican Bay.«
In der Anatomie des staatlichen Gefängnissystems Kaliforniens war Pelican Bay
der Ort, an dem die Sonne nie schien
.
Am folgenden Tag forderte ich für mich und Jacobi einen Polizeihubschrauber an, um die Küste hinauf nach Crescent City, nahe der Grenze zu Oregon, zu fliegen. Ich war schon zweimal in Pelican Bay gewesen, einmal, um mit einem Spitzel zu sprechen, und dann zu einer Anhörung wegen vorzeitiger Haftentlassung von jemandem, den ich ins Gefängnis gebracht hatte. Jedes Mal, wenn ich über die dichten Redwood-Wälder flog, die die Haftanstalt umgaben, spürte ich einen Kloß im Magen.
Wenn man im Polizeidienst tätig war – besonders als Frau –, war das ein Ort, den man nicht freiwillig aufsuchte. Wenn man durch den Haupteingang geschleust wird, sieht man ein Schild, das darauf hinweist, dass man auf sich selbst gestellt ist, sollte man als Geisel genommen werden.
Keinerlei Verhandlungen
.
Ich hatte ein Treffen mit dem stellvertretenden Anstaltsleiter, Roland Estes, im Verwaltungsgebäude vereinbart. Er ließ uns ein paar Minuten warten. Dann kam er. Estes war ein großer ernster Mann, mit hartem Gesicht und schmalen blauen Augen. Er strahlte diese beinharte Unzugänglichkeit aus, die in den vielen Jahren eines Lebens unter höchster Disziplin entsteht.
»Ich muss mich entschuldigen, dass ich zu spät komme«, sagte er und setzte sich hinter einen großen Eichenschreibtisch. »Wir hatten eine Störung unten in Block Null. Einer unserer einsitzenden Nortenos stach einem Rivalen in den Hals.«
»Wie ist er an ein Messer gekommen?«, fragte Jacobi.
»Kein Messer.« Estes lächelte. »Er hat die zurechtgefeilte Klinge einer Gartenhacke benutzt.«
Nicht um alles auf der Welt hätte ich Estes’ Job auch nur einen Herzschlag lang haben wollen, aber ich hatte auch etwas gegen den schlechten Ruf dieser Einrichtung, wegen der Schläge, den Einschüchterungen und dem Motto: »Singen, Haftentlassung oder Tod.«
»Sie sagten, es hätte mit dem Mord an Chief Mercer zu tun, Lieutenant.« Der Leiter beugte sich vor.
Ich nickte und holte eine Akte aus der Tasche. »Möglicherweise mit einer ganzen Serie von Morden. Mich interessiert, was Sie über eine Gang in Ihrem Gefängnis wissen.«
Estes zuckte die Schultern. »Die meisten unserer Insassen waren in Gangs, seit sie zehn Jahre alt waren. Sie werden feststellen, dass jede Gang, die es in Oakland oder Ost-Los-Angeles gibt, auch hier existiert.«
»Diese Gang nennt sich Chimäre«, sagte ich.
Estes zeigte keine Verblüffung. »Mit Kleinvieh fangen Sie nicht an, richtig, Lieutenant? Gut, was wollen Sie wissen?«
»Ich möchte wissen, ob diese Morde zu den Männern von Chimäre führen. Und ich will wissen, ob diese Kerle tatsächlich so schlimm sind, wie man sie schildert. Und ich will den Namen jedes Mitglieds wissen, das jetzt draußen lebt.«
»Die Antwort auf alles lautet: Ja.« Estes nickte. »Es ist eine Art Fegefeuer zur Bewährung. Gefangene, die das Schlimmste aushalten können, kann ich Ihnen anbieten. Das sind diejenigen, die längere Zeit im Bunker, in Isolationshaft verbracht haben. Damit gewinnen sie an Status – und gewisse Privilegien.«
»Privilegien?«
»Freiheit. So wie wir das hier drinnen definieren. Freiheit, nicht ausgequetscht zu werden, nicht singen zu müssen.«
»Ich hätte gern eine Liste aller entlassenen Mitglieder der Gang.«
Der stellvertretende Anstaltsleiter lächelte. »Nicht viele werden entlassen. Einige werden in andere Anstalten verlegt. Ich vermute, dass es Ableger von Chimäre in jedem Hochsicherheitsgefängnis dieses Staates gibt. Wir führen hier auch keine Aufstellung, wer in welchem Verein ist oder nicht. Hier geht es mehr darum, wer beim Essenfassen neben dem Großen Wichser sitzt.«
»Aber Sie wissen, wer in welcher Gang ist, oder?«
»
Wir
wissen das.« Er
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