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Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr

Titel: Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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breitete sich um mich aus, wie ein großer, ruhiger Teich. Ich fiel wie ein Kiesel in ihn hinein. Pflichtgetreu.
    Er zuckte, als er mich bemerkte. Wut war seine erste Reaktion. Raus hier! Er versuchte, mich aus seinem Geist zu stoßen, aber ich hatte seine Verteidigung bereits durchbrochen. Ich leistete ihm gelassen Widerstand, zeigte keinerlei Aggressivität, sondern weigerte mich lediglich, wieder aus seinen Gedanken verbannt zu werden. So wie beim ersten Mal, da wir miteinander gerungen hatten, warf er sich voller Wut und ohne Sinn und Verstand mir entgegen. Ich hielt stand und ließ die mentalen Schläge über mich ergehen, bis er ausgelaugt war. Erst als er vor Erschöpfung fast benommen war, ergriff ich wieder das Wort.
    Pflichtgetreu. Bitte, komm zum Turm.
    Du hast mich angelogen. Ich hasse dich.
    Ich habe dich nicht angelogen. Ich hatte dir ohne Absicht ein Unrecht zugefügt. Ich habe versucht, es wieder ungeschehen zu machen, und ich habe geglaubt, das sei mir auch gelungen. Dann, im schlimmstmöglichen Augenblick, haben wir beide herausgefunden, dass dem nicht so war.
    Du hast mich gefesselt, hast mich gezwungen, deinem Willen zu gehorchen, und das seit wir uns getroffen haben. Vermutlich hast du mich auch gezwungen, dich zu mögen.
    Durchforste deine Erinnerungen, Pflichtgetreu, dann wirst du herausfinden, dass dem nicht so ist. Aber ich werde diese Angelegenheit nicht länger auf diese Art diskutieren. Komm zum Gabenturm. Bitte.
    Das werde ich nicht.
    Ich warte auf dich.
    Mit diesen Worten zog ich mich aus seinem Geist zurück.
    Eine Zeit lang saß ich einfach nur da und sammelte meine Kraft und meine Gedanken. Kopfschmerz hämmerte in meinem Schädel und verlangte nach meiner Aufmerksamkeit. Ich schob ihn beiseite. Dann atmete ich abermals tief durch und griff erneut hinaus.
    Dick zu finden, war leicht. Musik strömte aus seinem Geist, eine Musik, die ganz seine eigene war, denn es war Musik ohne Ton. Als ich sie ungehindert in meinen Geist fließen ließ, wurde sie sogar noch seltsamer; sie war nicht in Noten komponiert. Für einen Augenblick war ich darin gefangen. Auf einer gewissen Ebene waren die ›Noten‹ dieses Liedes ganz gewöhnliche Alltagsgeräusche. Hufgeklapper, das Klirren von Geschirr, das Geräusch des Windes, der durch den Kamin pfiff, das Klimpern einer Münze auf den Pflastersteinen. Es war eine Musik aus den Geräuschen des Lebens. Dann glitt ich tiefer in sie hinein, und ich entdeckte keine Musik auf dieser neuen Ebene, sondern ein Muster. Die Geräusche waren durch unterschiedliche Tonhöhen voneinander getrennt, doch diese Trennung folgte ebenso sehr einem Muster wie ihre Wiederholung. Es war, als würde ich mich einem Wandteppich nähern. Zuerst sieht man das Bild als Ganzes, doch bei näherem Hinschauen entdeckt man das Material, aus dem das Bild gewoben ist. Geht man noch tiefer, sieht man die einzelnen Stiche, die verschiedenen Farben und Texturen der Fäden.
    Nur mit Mühe konnte ich mich von Dicks Lied wieder lösen. Ich fragte mich, wie ein solch schlichter Geist eine derart komplexe Musik erschaffen konnte. Im nächsten Augenblick verstand ich es. Dieses Gewebe aus Musik war der Rahmen seiner Gedanken und seiner Welt. Das war, worauf er seine Aufmerksamkeit richtete; sorgfältig ordnete er jedes Geräusch in sein gewaltiges Klangbild ein. Da verwunderte es nicht, dass er kaum einen Gedanken für die unbedeutenden Sorgen der Welt übrig hatte, die Chade und ich wahrnahmen. Wie viele Gedanken verwendete ich auf das Geräusch tropfenden Wassers oder einer Klinge auf einem Schleifstein?
    Ich kam wieder zu mir. Noch immer saß ich auf Veritas' Stuhl. Ich hatte das Gefühl, als wäre mein Geist ein Schwamm, der sich mit Musik voll gesogen hatte. Ich musste Dicks Lied erst verklingen lassen, bevor ich mich meiner eigenen Gedanken und Absichten wieder erinnern konnte. Ich ordnete meinen Geist und griff wieder hinaus.
    Diesmal stellte ich sicher, dass ich nur den Rand seiner Musik streifte. Dort zögerte ich und dachte darüber nach, wie ich ihm meine Anwesenheit bewusst machen konnte, ohne ihn zu erschrecken. So sanft ich konnte stellte ich den Kontakt her. Dick?
    Ich fühlte die Wucht seiner Furcht und seiner Wut wie einen Faustschlag in die Magengrube. Es war, als hätte ich eine schlafende Katze angestupst. Er floh, doch nicht ohne vorher nach mir gekrallt zu haben. Zitternd öffnete ich die Augen und blickte vom Turm aus auf die wogenden Wellen. Es fiel mir schwer, wieder in

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