Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
versagen.« Sie blickte an mir vorbei. »Deine Tochter mag ja vielleicht unsichtbar für ihr Volk sein, aber sie ist nichtsdestotrotz die nächste in der Thronfolge. Wir können nicht ändern, wer Nessel ist. So sehr es sich irgendjemand auch wünschen mag, sie ist und bleibt eine Weitseher. Sollte sich die Notwendigkeit ergeben, FitzChivalric Weitseher, muss deine Tochter dem Land dienen. So haben wir es vor all diesen Jahren arrangiert. Ich weiß, dass du dich damals dagegen ausgesprochen hast, als wir in Jhaampe die Dokumente aufgesetzt haben, und ich weiß auch, dass es dir immer noch nicht gefällt. Aber sie ist eine anerkannte Weitseher, durch deinen Vater, durch mich als Königin und durch eine Menestrelle, der du die Wahrheit gesagt hast, um all das zu bezeugen. Dieses Dokument existiert noch immer, Fitz, und das muss auch so sein. Selbst wenn Chade, du, ich und Merle Vogelsang sterben sollten, das Dokument liegt in der Schatzkammer und mit ihm das Kodizill, wo und wie man Nessel finden kann. Wir können ihre Abstammung nicht verändern; wir können ihre Geburt nicht ungeschehen machen. Würdest du das überhaupt wirklich wollen? Ich denke nicht. Allein sich so etwas zu wünschen, wäre eine Beleidigung der Götter.«
Und dann geschah es erneut. Plötzlich sah ich mit den Augen eines anderen. Diese unvermittelte Einsicht in den Gedankengang meiner Königin löschte meinen Zorn. Kettricken betrachtete es als unveränderliche Tatsache, dass Nessel einen Platz in der Thronfolge der Weitseher hatte. Für sie war das keine Frage, was ich oder sie uns wünschten. Es war schlicht ein Faktum, an dem wir nichts ändern konnten. Für sie stand Nessel nicht zur Disposition. Sie konnte sie nicht aus einer Pflicht entlassen, in die sie hineingeboren worden war. So sah Kettricken das Ganze.
Ich holte Luft, doch Kettricken hob einen Finger zum Zeichen, dass sie noch zu Ende sprechen wollte. »Ich weiß, wie sehr du dich davor fürchtest, dass Nessel geopfert wird. Auch ich bete, dass das nie geschehen möge. Denk einmal darüber nach, was das für mich bedeuten würde: Müsste Nessel den Thron besteigen, wäre mein einziger Sohn entweder tot oder nicht mehr fähig zu regieren. Als Mutter schiebe ich solch eine Möglichkeit ganz weit von mir, so wie du versuchst, Nessel die Last der Krone zu ersparen. Aber auch wenn wir beide von ganzem Herzen hoffen, dass es nie so weit kommen möge, müssen wir uns darauf vorbereiten und dafür sorgen, dass sie ihr Volk gut regieren kann. Sie muss ausgebildet werden und das nicht nur in der Gabe, sondern auch in Sprache, Geschichte und in den Traditionen und Bräuchen der Krone. Es war nachlässig von uns beiden, dass sie bis jetzt nicht entsprechend erzogen worden ist, und unverzeihlich, dass wir sie über ihre Abstammung im Unklaren gelassen haben. Sollte je die Zeit kommen, da sie dem Land dienen muss, glaubst du, sie wird uns dankbar dafür sein, dass wir sie in Unwissenheit gelassen haben?«
Das war ein weiterer Schlag gegen meine Überzeugung. Die Welt drehte sich um mich herum, und plötzlich stellte ich die Entscheidung in Frage, die ich für Nessel getroffen hatte. Übelkeit überkam mich, als ich die Wahrheit erkannte. Ich sprach sie laut aus. »Vermutlich würde sie mich dafür hassen, dass ich sie in Unwissenheit gelassen habe. Doch ich weiß nicht, wie ich das zu so einem späten Zeitpunkt ändern kann, ohne den Schaden noch zu vergrößern.« Ich sackte auf meinem Stuhl zurück. »Kettricken, auch wenn es dir als Nachlässigkeit erscheinen mag, ich muss dich dennoch bitten. Lass sie so weiterleben wie bisher. Wenn du dem zustimmst, verspreche ich dir, dass ich alles – und ich meine wirklich alles – dafür tun werde, dass sie nie solch ein Opfer bringen muss.« Ich schluckte und band mich selbst erneut. Wieder stand ich vor einem Weitseherherrscher und überantwortete ihm mein Leben. Diesmal tat ich es als Mann. »Aus freien Stücken werde ich eine Kordiale für Pflichtgetreu zusammenstellen und dem Land und seinen Herrschern als Gabenmeister dienen.«
Die Königin blickte mich an. Nach einem Augenblick fragte sie: »Ist das nun ein neues Angebot von dir, FitzChivalric, oder eine neue Bitte an mich?«
Tadel lag in dieser Frage. Ich senkte den Kopf und akzeptierte ihn. »Vielleicht werde ich mich nun ehrlich bemühen.«
»Wirst du auch das Wort deiner Königin akzeptieren und nicht von ihr verlangen, es noch einmal zu bestätigen? Ich will klar und deutlich mit dir
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