Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr

Titel: Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
erschien plötzlich ein Funkeln. »Nein!«, rief er. »Hör nicht mit deiner Musik auf, Dick; ich habe sie nämlich nie selbst gehört. Pflichtgetreu und Tom haben mir immer nur erzählt, wie schön sie ist. Lass mich deine Musik hören, Dick, nur dieses eine Mal. Leg deine Hand auf Pflichtgetreus Schulter, und schick mir deine Musik. Bitte.«
    Pflichtgetreu und ich starrten Chade offenen Mundes an. Dick strahlte. Er zögerte nicht einen Augenblick. Pflichtgetreu hatte die Hand noch nicht ganz von Dicks Schulter genommen, da hatte der kleine Mann den Prinzen fest im Griff. Die Augen auf Chade fixiert, den Mund vor Freude weit aufgesperrt, ließ er Pflichtgetreu keine Zeit, sich zu konzentrieren. Musik spülte wie eine Flutwelle über uns hinweg. Vage sah ich, wie Chade von der Wucht ins Wanken geriet. Seine Augen wurden immer größer, aber auch wenn Triumph auf seinem Gesicht erschien, so sah ich doch auch einen Schatten von Furcht.
    Ich hatte Dicks Stärke nicht unterschätzt. Noch nie hatte ich solch einen Ausstoß der Gabe erlebt. Bis jetzt war Dicks Musik immer eine Unterströmung in seinen Gedanken gewesen, etwas Unbewusstes wie Atmen oder der Herzschlag. Nun jedoch öffnete er sie für die Welt und freute sich an seinem Mutterlied.
    Wie sich ein Fluss bei Hochwasser vor lauter Schlamm verfärbt, so färbte Dicks Musik den großen Gabenfluss. Sein Lied drang in ihn ein und veränderte ihn. Ich hatte mir so etwas nie vorstellen können. Ich war so sehr davon gefesselt, dass ich die Kontrolle über meinen eigenen Körper verlor. Die überwältigende Faszination von Dicks Musik zog mich in sie hinein und hüllte mich in ihren Rhythmus und ihre Melodie. Ich fühlte, dass Chade und Pflichtgetreu irgendwo bei mir waren, aber ich konnte nicht feststellen wo. Auch war ich nicht der Einzige, der von der Musik so angezogen wurde. Ich fühlte andere im Gabenvorhang. Einige waren nur dünne Fäden, filigrane Tentakel der Magie jener, die nur über einen ganz schwachen Gabensinn verfügten. Vielleicht wunderte sich irgendwo ein Fischer über das seltsame Lied, das er plötzlich im Hinterkopf hatte, oder eine Mutter veränderte das Wiegenlied, das sie gerade sang. Andere waren stärker eingebunden. Ich nahm Menschen wahr, die mitten in ihrer Arbeit innehielten, sich blind umschauten und versuchten, den Ursprung der Musik zu finden.
    Es waren auch einige da, nicht viele, die sich der Gabe als einer Konstanten in ihrem Leben bewusst waren, und normalerweise waren sie es gewöhnt, sich vor den Hintergrundgeräuschen abzuschirmen. Doch diese Flut von Musik durchbrach solche Barrieren, und ich fühlte, wie diese Menschen sich zu uns umdrehten. Ich hörte jedoch nur eine Stimme klar und deutlich und ohne Furcht. Was ist das?, verlangte Nessel zu wissen. Woher kommt dieser Tagtraum?
    Aus Bocksburg, antwortete Chade überglücklich. Aus Bocksburg kommt der Ruf, o ihr, die ihr über die Gabe verfügt! Wacht auf, und kommt nach Bocksburg, auf dass eure Magie geweckt werde und ihr eurem Prinzen dienen könnt!
    Nach Bocksburg? , echote Nessel.
    Und dann ertönte eine Stimme aus weiter Ferne gleich einem Fanfarenstoß:
    Jetzt kenne ich dich. Jetzt sehe ich dich.
    Vielleicht hätte mich nichts anderes aus den Fesseln der Gabenfaszination befreien können. Ich trennte Pflichtgetreu von Dick mit einer Gewalt, die uns alle drei überraschte. Mit einem Knall hörte die Musik auf. Eine Sekunde lang machte mich das plötzliche Fehlen der Gabe blind und taub. Mein Herz sehnte sich danach. Das war eine weit reinere Verbindung zur Welt als die meiner schwachen Sinne. Aber ich kam rasch wieder zu mir. Ich reichte Pflichtgetreu die Hand, denn ich hatte ihn zu Boden gestoßen. Benommen ergriff er sie, stand auf und fragte: »Hast du dieses Mädchen gehört? Wer war sie?«
    »Oh, nur das Mädchen, das die ganze Zeit weint«, erklärte Dick beiläufig, und ich war ihm dankbar dafür, dass ich die Frage nicht beantworten musste. Dann fragte Dick Chade: »Hast du meine Musik gehört? Hat sie dir gefallen?«
    Chade antwortete nicht sofort. Ich drehte mich um und sah, dass er auf seinem Stuhl zusammengesunken war. Er lächelte dümmlich, doch seine Stirn war in Falten gelegt. »O ja, Dick«, antwortete er schließlich. »Ich habe sie gehört, und sie hat mir sehr gut gefallen.« Er stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte den Kopf in die Hände. »Wir haben es geschafft«, keuchte er und blickte zu mir. »Fühlt es sich immer so an? Dieser

Weitere Kostenlose Bücher