Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet
weggelaufen war.
Ich erkannte Elliania mehr an ihrer Haltung denn an ihrer Gestalt, als die Menschen eine Gasse für sie freimachten. Wie Pflichtgetreu so war auch sie in den Monaten gewachsen, da ich sie zum letzten Mal gesehen hatte; sie hatte alles Kindliche abgelegt und war zur Frau herangereift. Als sie an den Frauen vorbeiging, schnappten nicht nur die Männer der Sechs Provinzen hörbar nach Luft. Ihr Gewand bedeckte Schulter und Rücken, doch ihre festen Brüste waren nackt. Hatte sie die Brustwarzen gefärbt, oder leuchteten sie von Natur aus so rot?, fragte ich mich und spürte, wie mein Fleisch sich regte. Einen Augenblick später hatte ich meine Mauern errichtet und ermahnte Pflichtgetreu:
Pass auf deine Gedanken auf!
Er musste mich gehört haben, doch er zuckte noch nicht einmal. Er starrte auf die nackten Brüste der Narcheska, als hätte er so etwas noch nie gesehen, und wahrscheinlich war dem auch so.
Die Narcheska verschwendete nicht einen Blick an ihn und sein Gaffen, sondern ging direkt zur Großen Mutter. »Ich werde mich darum kümmern, Peottre«, sagte sie mit ihrer neu gewonnenen Frauenstimme. Dann wandte sie sich an die Männer, die den Stuhl getragen hatten. »Ihr habt unsere Große Mutter gehört. Sie braucht Ruhe. Lasst uns ihr alle danken, dass sie unsere Versammlung heute Abend mit ihrer Anwesenheit geehrt hat, und ihr einen ruhigen Schlaf wünschen.«
Ein Raunen ging durch die Anwesenden, ein Echo der Gute-Nacht-Wünsche der Narcheska; dann trugen die jungen Männer die alte Frau auf ihrem Stuhl davon. Die Narcheska stand aufrecht da und blickte ihr hinterher, bis sie in den Schatten oberhalb der Treppe verschwunden war. Dann atmete sie tief durch. Der Prinz starrte nun auf ihren Rücken und den eleganten Nacken, der zwischen dem Gewandansatz und den teils hochgesteckten Haaren zu erkennen war. Die Näherinnen hatten das Gewand gut geschnitten, dachte ich bei mir. Die Tätowierungen darunter waren noch nicht einmal ansatzweise zu erkennen. Ich sah, wie Chade Pflichtgetreu einen leichten Stoß in die Rippen gab. Der junge Mann zuckte zusammen, als sei er gerade aus einem Traum erwacht, und entwickelte plötzlich ein starkes Interesse an Peottres Füßen. Peottre wiederum beobachtete ihn streng, als wäre er ein unerzogener Hund, der einem das Essen vom Tisch wegschnappte, wenn man nicht Acht gab.
Die Narcheska straffte die Schultern, drehte sich wieder zu uns herum und ließ ihren Blick über die Versammlung schweifen. Ihr Haarschmuck bestand aus Narwalhorn. Ich hatte keine Ahnung, wie sie es fertig brachten, dass dieses Material so blau schimmerte. Darum herum funkelten die Haarnadeln wie kleine Sterne, und ich hegte keinerlei Zweifel mehr daran, dass die Schnitzerei, über die Pflichtgetreu am Schatzstrand gestolpert war, uns genau diesen Augenblick gezeigt hatte. Allerdings hatte ich nach wie vor keine Idee, was das bedeuten mochte, und nun war auch nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken.
Irgendwie brachte die Narcheska ein Lächeln zustande, nur wirkte es doch ein wenig gezwungen, als sie kurz lachte und mit den Schultern zuckte. »Ich habe vergessen, was ich jetzt sagen sollte. Würde jemand die Worte der Mutter für mich sprechen?« Doch noch bevor jemand etwas auf diese Bitte erwidern konnte, blickte sie Pflichtgetreu in die Augen. Er war vorher schon rot gewesen, aber nun brannten seine Wangen förmlich. Die Narcheska ignorierte seine Verlegenheit jedoch und sagte ruhig: »Wie du siehst, verbinden wir heute Abend gleich zwei Zeremonien miteinander.
Wie es der Zufall will, ist der Zeitpunkt gekommen, mich meinem Clan als vollblütige Frau zu zeigen, und just an diesem Tag kommst du hierher, um dich mir als Gefährten anzubieten.«
Pflichtgetreus Lippen bewegten sich. Ich glaube, er murmelte die Worte > vollblütige Frau<, zu hören war aber nichts.
Wieder lachte die Narcheska, doch diesmal war das Geräusch so kalt wie brechendes Eis. »Habt ihr bei eurem Volk keine Zeremonie dafür? Ein Jüngling taucht doch seine Klinge in Blut, um seine Männlichkeit zu beweisen, oder? Mit dem Beweis, dass er zu töten versteht, bekundet er seine Reife. Doch eine Frau braucht kein Schwert. Eda selbst taucht uns in Blut. Was ein Mann sich nur mit dem Schwert nehmen kann, vermag eine Frau aus ihrem Fleisch zu geben: Leben.« Sie legte die Hände auf den Bauch. »Ich habe zum ersten Mal als Frau mein Blut vergossen. Ich kann Leben gebären. Nun stehe ich vor euch als
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