Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet
Flink hatte ich ebenfalls Fortschritte gemacht. In mancherlei Hinsicht würde ich den Jungen vermissen, wenn wir fort waren, doch andererseits würde ich froh sein, ihn los zu sein. Getreu seinem Wort war der Junge ein hervorragender Bogenschütze für einen Zehnjährigen, und nachdem ich Kressbrunn, den Waffenmeister, darauf aufmerksam gemacht hatte, hatte dieser sich gerne bereit erklärt, die Verantwortung für ihn zu übernehmen. »Er hat ein Gefühl für den Bogen. Er gehört nicht zu denen, die lange und sorgfältig zielen. Bei diesem Jungen fliegt der Pfeil nicht nur von der Sehne, sondern auch vom Auge. Er wäre bei der Axt verschwendet. Lass uns stattdessen seine Kraft trainieren und ihm mit zunehmendem Alter immer stärkere Bögen geben.« Das war Kressbrunns Einschätzung, und als ich Chade davon berichtete, stimmte der alte Assassine dem Waffenmeister zu - wenn auch nur bedingt.
»Wir werden ihn aber auch an der Axt ausbilden«, fügte Chade hinzu. »Das kann nicht schaden.«
Weniger Zeit mit dem Jungen verbringen zu müssen, stellte eine größere Erleichterung für mich dar, als ich mir selbst eingestehen wollte. Er war ein kluger Junge und angenehm im Umgang, mit Ausnahme von zwei Dingen: Er erinnerte mich bei weitem zu sehr an Molly und Burrich, und er konnte nicht aufhören, von seiner Magie zu reden. Egal mit was ich den Unterricht begann, er fand immer wieder eine Möglichkeit, eine Diskussion über die Alte Macht daraus zu machen. Seine Ignoranz erschreckte mich, und doch war es mir unangenehm, seine Irrtümer zu korrigieren. Ich beschloss, mit Web über ihn zu sprechen.
Doch Web zu finden, erwies sich als Problem. Seit er als Fürsprecher seiner Leute und ihrer verleumdeten Magie am Hof Einzug gehalten hatte, hatte er sich nicht nur den Respekt der Zwiehaften, sondern auch vieler anderer erworben, welche die Alte Macht einst verabscheut hatten. Oft nannte man ihn nun den >Zwiehaften Meisten. Der Titel, der einst als Spott auf die der Alten Macht gegenüber aufgeschlossene Politik der Königin gedacht gewesen war, verwandelte sich allmählich in einen Ehrentitel. Inzwischen suchten viele Webs Rat - und es waren nicht nur jene vom Alten Blut, die ihn in Bezug auf Angelegenheiten konsultierten, die nicht nur seine Magie betrafen. Web war ein freundlicher Mann, an jedem interessiert, und er war in der Lage, lebhaft über alle Themen zu diskutieren; dabei war er jedoch keineswegs geschwätzig, sondern mehr ein aktiver Zuhörer. Die Menschen mögen einen Mann, der ihren Geschichten und Anliegen Gehör schenkt. Ich denke, auch wenn er nicht der inoffizielle Botschafter der Zwiehaften gewesen wäre, hätte man ihn zum Liebling des Hofes auserkoren. Doch seine seltsame Verbindung verschaffte ihm sogar noch mehr Respekt, denn wer auch immer der Königin zu demonstrieren wünschte, dass er ihre Politik gegenüber den Zwiehaften guthieß, lud Web zum Abendessen oder irgendeiner anderen Vergnügung ein. Viele Adelige glaubten, so die Gunst der Königin erlangen zu können. Ich bin sicher, dass nichts, was Web in seinem früheren Leben erlebt hatte, ihn auf eine solche gesellschaftliche Neuheit\? vorbereitet hatte, und doch schien er gut damit zurechtzukommen wie eigentlich mit allem. Auch veränderte ihn das nicht, so weit ich sagen konnte. Noch immer lauschte er wie gebannt sowohl dem Geschnatter der Mägde als auch den gebildeten Diskussionen der Edelleute. Ich sah ihn nur selten allein.
Aber es gibt noch immer einige Orte, an denen ein höflicher Mensch anderen nicht folgt. Ich wartete auf Web, als er aus dem Hinterhaus kam.
»Ich hätte gerne deinen Rat in einer Sache. Hast du kurz Zeit für mich? Vielleicht bei einem Spaziergang durch die Frauengärten?«, begrüßte ich ihn.
Web hob neugierig eine graue Augenbraue und nickte dann. Ohne ein weiteres Wort folgte er mir, wobei er sich mit seinem schwankenden Seemannsgang leicht an meinen strammen Schritt anpasste. Schon als Kind hatte ich es genossen, durch die Frauengärten zu streifen. Im Sommer erntet man dort die meisten Kräuter und Gemüse für die Küche der Burg, doch die Beete sind nicht nur nach ihrem praktischen Nutzen angelegt, sondern auch zum Vergnügen. Die >Frauengärten< werden sie schlicht aus dem Grund genannt, weil sich zumeist Frauen um sie kümmern; auf jeden Fall würde uns niemand schräg anschauen, wenn wir ein wenig dort spazieren gingen. Ich pflückte im Vorübergehen ein paar Fenchelblätter und bot eines davon Web an.
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