Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet
doch ... die Wurzeln all dessen reichten tief, nicht wahr?
Nach einiger Zeit blickte Nessel zu mir hinab und lachte verbittert. »Nun, Schattenwolf? Willst du mir nicht sagen, dass du mir damit nicht helfen kannst? Sagst du das nicht immer?« Als mir keine Antwort darauf einfiel, fügte sie vorwurfsvoll hinzu: »Ich weiß nicht, warum ich überhaupt mit dir spreche. Du hast mich angelogen. Du hast gesagt, mein Bruder würde wieder nach Hause kommen.«
»Das habe ich auch geglaubt«, erwiderte ich, nachdem ich endlich meine Stimme wiedergefunden hatte. »Ich bin zu ihm gegangen und habe ihm gesagt, er solle nach Hause gehen, und ich habe gedacht, das hätte er auch getan.«
»Nun, vielleicht hat er das ja auch versucht. Vielleicht hat er sich auf den Weg gemacht und ist von Räubern erschlagen worden oder in einen Fluss gefallen und ertrunken. Ich nehme nicht an, dass du je daran gedacht ist, dass Flink noch ein wenig zu jung ist, um alleine auf der Straße zu sein, oder? Ich nehme an, du hast nie daran gedacht, dass es sicherer wäre, ihn zu uns zu bringen, statt ihn uns zu schickem. Aber nein, das hätte für dich ja eine Unannehmlichkeit bedeutet.«
»Nessel, hör auf. Lass mich jetzt was sagen. Flink ist in Sicherheit. Er lebt, und es geht ihm gut. Er ist noch immer hier, bei mir.« Ich hielt kurz inne und versuchte zu atmen. Die Unausweichlichkeit dessen, was auf diese Worte folgen musste, drehte mir den Magen um.
Jetzt kommt es, Burrich,
dachte ich.
All der Schmerz, den ich stets versucht habe, dir zu ersparen. Alles zu einem ordentlichen Paket des Leidsfür dich und deine Familie verpackt.
Denn Nessel fragte genau das, was ich vermutet hatte, und was sie einfach fragen musste: »Und wo
ist
>in Sicherheit mit dir< ? Und woher weißt du überhaupt, dass er in Sicherheit ist? Und woher soll ich wissen, dass es dich überhaupt gibt? Vielleicht bist du ja wie alles andere in diesem Traum, von mir erschaffen. Sieh dich doch nur einmal an, Mann-Wolf! Du bist nicht real, und alles, was du mir anbietest, sind falsche Hoffnungen.«
»So wie du mich siehst, bin ich tatsächlich nicht« erwiderte ich langsam; »aber ich
bin
real, und einst hat dein Vater mich gekannt.«
»Einst!«, sagte Nessel verächtlich. »Das ist wieder so eine Erzählung des Schattenwolfs. Behalte deine dummen Geschichten für dich.« Zitternd atmete sie ein, und frische Tränen rannen ihr übers Gesicht. »Ich bin kein Kind mehr. Deine dummen Geschichten helfen mir nicht.«
So wusste ich, dass ich sie verloren hatte. Ich hatte ihr Vertrauen verloren und ihre Freundschaft. Ich hatte die Gelegenheit verloren, mein Kind als Kind kennen zu lernen. Eine schreckliche Traurigkeit stieg in mir empor, durchwirkt mit der Musik des wachsenden Dornengestrüpps. Ich blickte hinter mich. Nebel und Dornen stiegen immer höher. Bedrohte mich schlicht mein eigener Traum, oder war es Dicks Musik, die immer bedrohlicher wurde? Ich wusste es nicht. »Und ich bin hierher gekommen, um dich um Hilfe zu bitten«, erinnerte ich mich selbst verbittert.
»Du willst
meine
Hilfe?«, fragte Nessel mit erstickter Stimme.
Ohne nachzudenken, hatte ich meine Gedanken laut ausgesprochen. »Ich weiß, dass ich nicht das Recht habe, dich überhaupt um etwas zu bitten.«
»Nein, das hast du nicht.« Sie blickte an mir vorbei. »Was ist das da eigentlich?«
»Ein Traum. Ein Albtraum, um genauer zu sein.«
»Ich dachte, in deinen Albträumen ginge es ums Fallen.« Sie klang fasziniert.
»Das ist nicht mein Albtraum. Er gehört einem anderen. Er ist ... Es ist ein sehr starker Albtraum. Stark genug, um von ihm auszustrahlen und die Träume anderer Menschen zu übernehmen. Er bedroht Leben, und ich glaube nicht, dass der Mann, der ihn träumt, ihn kontrollieren kann.«
»Dann weck ihn doch auf«, schlug Nessel verächtlich vor.
»Das würde vielleicht helfen, wenn auch nur für kurze Zeit. Aber ich brauche eine beständigere Lösung.« Einen Augenblick lang dachte ich darüber nach, ihr zu sagen, dass der Traum des Mannes auch Flink bedrohte; ich schob den Gedanken jedoch rasch wieder beiseite. Es war sinnlos, sie zu ängstigen, vor allem wenn ich nicht sicher war, dass sie mir helfen konnte.
»Was hast du denn gedacht, was ich dagegen unternehmen könnte?«
»Ich dachte, du könntest mir vielleicht helfen, in seinen Traum zu gehen und ihn zu verändern. Mach ihn angenehm und ruhig. Überzeuge ihn davon, dass das, was mit ihm geschieht, ihn nicht töten, dass alles wieder
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