Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet
sofort respektvoll dreinschauen würde. Die Lage an Bord spitzte sich zu.
Am späten Abend kehrte der Regen als alles durchdringender Nebel zurück. Ich hatte das Gefühl, als wäre ich schon seit einer Woche nicht mehr trocken gewesen. Ich legte die Decke über Dick und hoffte, dass allein schon das Gewicht des Stoffes ihm etwas Wärme spenden würde. Er schlief unruhig auf Deck und zuckte wie ein Hund, der von Albträumen geplagt wurde. Schon oft hatte ich den Scherz gehört: »Man kann nicht an Seekrankheit sterben, man kann es sich nur wünschen.« Nun fragte ich mich, ob das so stimmte. Wie lange konnte ein Körper diese Belastung ertragen?
Dank der Alten Macht fühlte ich Web, bevor seine Silhouette im trüben Licht der Decklampe über mir erschien. »Du bist ein pflichtbewusster Mann, Tom Dachsenbless« bemerkte er, als er sich neben mich hockte. »Und das hier ist sicherlich keine angenehme Pflicht; dennoch bist du nicht einen Augenblick von seiner Seite gewichen.«
Sein Lob wärmte mir das Herz, machte mich aber zugleich auch verlegen. »Das ist einfach nur meine Verantwortung«, erwiderte ich.
»Und du nimmst sie sehr ernst.«
»Burrich hat mich das gelehrt«, sagte ich ein wenig gereizt.
Web lachte gelassen. »Und er hat dich auch gelehrt, dich an einem Groll festzubeißen wie ein Kampfhund an der Nase eines Bullen. Löse dich davon, FitzChivalric Weitseher. Ich werde nicht mehr von dem Mann sprechen.«
»Ich wünschte, du würdest nicht so achtlos mit diesem Namen um dich werfen«, sagte ich nach kurzem, bedrückendem Schweigen.
»Der Name gehört dir. Er ist ein fehlender Teil von dir. Du solltest ihn wieder zurücknehmen.«
»Er ist tot, und das sollte er auch besser bleiben ... zum Wohle aller, die mir lieb sind.«
»Tust du das wirklich für sie oder um deinetwegen ?«, fragte Web.
Ich schaute ihn nicht an. Ich blickte zu den anderen Schiffen hinaus, die uns durch die Nacht folgten. Ihre Rümpfe waren mächtige schwarze Schatten, und ihre geblähten Segel verdeckten die Sterne. Die Laternen auf ihren Decks hoben und senkten sich mit jeder Welle wie ferne, sich bewegende Sterne. »Web, was willst du von mir?«, fragte ich schließlich.
»Ich will dich nur zum Nachdenken anregen«, antwortete er in sanftem Ton. »Ich will dich nicht wütend machen, auch wenn mir das hervorragend zu gelingen scheint. Oder vielleicht ist deine Wut immer da, schwelt in dir, und ich bin nur das Messer, das die Oberfläche ankratzt und sie ausbrechen lässt.«
Stumm schüttelte ich den Kopf. Im Augenblick musste ich mich um andere Dinge kümmern und wünschte, ich wäre allein.
Als hätte er meine Gedanken gelesen, fügte Web hinzu: »Und heute Abend hatte ich noch nicht einmal die Absicht, dich zum Denken zu bewegen. Tatsächlich bin ich zu dir gekommen, um dir eine Ruhepause zu verschaffen. Ich werde über Dick wachen, damit du dir ein paar Stunden für dich selbst nehmen kannst. Ich bezweifele, dass du auch nur eine Minute richtig geschlafen hast, seit dir diese Aufgabe anvertraut worden ist.«
Ich sehnte mich danach herumzulaufen, um zu sehen, wie die Stimmung im Rest des Schiffes war, und mehr noch sehnte ich mich nach ein wenig ungestörtem Schlaf. Webs Angebot war schier unglaublich verlockend. Deshalb machte es mich auch sofort misstrauisch.
»Warum?«
Web lächelte. »Ist es so ungewöhnlich, dass die Menschen freundlich zu dir sind?«
Seine Frage erschreckte mich auf seltsame Art. Ich atmete tief durch. »Ja, manchmal ist mir das unheimlich.«
Langsam rappelte ich mich auf, denn meine Glieder waren in der Kälte steif geworden. Dick murmelte im Schlaf nervös vor sich hin. Ich hob die Arme über den Kopf und rollte mit den Schultern, während ich Pflichtgetreu rasch einen Gedanken schickte.
Web hat mir angeboten, eine Zeit lang auf Dick aufzupassen. Darf ich ihm das erlauben?
Natürlich.
Es schien Pflichtgetreu zu überraschen, dass ich überhaupt gefragt hatte.
Doch andererseits war mein Prinz manchmal einfach ein wenig zu vertrauensselig.
Bitte, sag Chade Bescheid.
Ich fühlte Pflichtgetreus Zustimmung. Nach meiner Streckübung sagte ich zu Web: »Danke. Ich nehme dein Angebot gerne an.«
Ich beobachtete, wie er sich vorsichtig neben Dick niederließ und die kleinste Seeflöte aus dem Hemd holte, die ich je gesehen hatte. Seeflöten waren vermutlich das am weitesten verbreitete Instrument in allen Flotten, denn sie hielten sowohl schlechtem Wetter als auch sorglosem Umgang stand. Einfache
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