Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet
mir fehlt der Mut, es dir zu sagen. Ich bin ein Feigling. Das war ich schon immer.< Dann schüttelte er sie ab und ging.«
Einen schrecklichen Augenblick lang stellte ich mir Molly abgewiesen und verlassen vor. Es war furchtbar.
»Wo ist er hingegangen?«, brachte ich mühsam hervor.
»Ich nehme an, er befindet sich auf dem Weg zu dir - wo auch immer du sein magst.« Ihre Worte waren knapp und schroff, und doch hörte ich Hoffnung in ihnen, Hoffnung, dass irgendjemand wusste, wohin ihr Vater unterwegs war und warum. Ich musste ihr diese Hoffnung nehmen.
»Das kann nicht sein. Aber ich glaube, ich weiß, wohin er gegangen ist, und ich denke, dass er bald wieder zurück sein wird.« Bocksburg, dachte ich bei mir. Burrich war schon immer sehr direkt gewesen. Er würde nach Bocksburg gehen in der Absicht, Chade in die Ecke zu treiben und auszufragen. Stattdessen würde er auf Kettricken treffen, und sie würde es ihm sagen, denn sie glaubte daran, den Menschen die Wahrheit zu erzählen, selbst wenn es sie verletzte.
Während ich noch immer über diese Szene nachdachte, ergriff Nessel erneut das Wort. »Was habe ich getan?«, fragte sie mich, und das war keine rhetorische Frage. »Ich habe mich immer für so klug gehalten. Ich habe geglaubt, mit dir handeln zu können und meinen Bruder so sicher wieder nach Hause zu holen. Doch stattdessen ... Was habe ich getan? Was bist du? Willst du uns Böses? Hasst du meinen Vater?« Und dann, noch weit verängstigter, fragte sie: »Ist mein Bruder irgendwie in deiner Macht?«
»Bitte, hab keine Angst vor mir. Dafür gibt es keinen Grund«, sagte ich rasch und fragte mich dann, ob das der Wahrheit entsprach. »Flink ist in Sicherheit, und ich verspreche dir, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um ihn wieder zu euch nach Hause zu bringen, sobald ich kann.« Ich hielt inne und überlegte, was ich ihr sagen konnte, ohne etwas Wichtiges zu verraten. Sie war keine Närrin, diese meine Tochter. Wenn ich ihr zu viele Hinweise gab, würde es nicht lange dauern, bis sie das gesamte Mysterium entwirrt hatte... und dann hätte ich sie vermutlich für alle Zeiten verloren. »Ich habe deinen Vater vor langer Zeit gekannt. Wir haben uns sehr nahe gestanden; doch ich habe Entscheidungen getroffen, die gegen seine Regeln verstoßen haben, und so sind wir getrennte Wege gegangen. Lange Zeit hat er mich für tot gehalten. Dank deiner Worte weiß er nun, dass das nicht stimmt. Und weil ich nie zu ihm zurückgekehrt bin, glaubt er jetzt, mir großes Unrecht angetan zu haben. Das hat er aber nicht. Doch wenn du deinen Vater auch nur ein wenig kennst, weißt du, dass ihn dieser Irrglaube nun antreibt.«
»Du hast meinen Vater vor langer Zeit gekannt? Hast du dann auch meine Mutter gekannt?«
»Ich habe ihn schon lange vor deiner Geburt gekannt.« Das war keine Lüge, aber nichtsdestotrotz ein Täuschungsversuch. Ich ließ sie absichtlich die falschen Schlüsse ziehen.
»Und so haben meine Worte meiner Mutter nichts bedeutet«, schloss Nessel nach kurzem Nachdenken.
»Ja«, bestätigte ich ihr und fragte dann vorsichtig: »Geht es ihr gut?«
»Natürlich
nicht!«
Ich fühlte ihre Ungeduld ob meiner Dummheit. »Sie hat vor dem Haus gestanden und ihm hinterher gebrüllt, als er fortgezogen ist, und dann hat sie uns einen Vortrag darüber gehalten, dass sie nie solch einen dickköpfigen Mann hätte heiraten sollen. Ein Dutzend Mal hat sie mich gefragt, was ich ihm gesagt habe, und ein Dutzend Mal habe ich ihr von meinem >Traum< erzählt. Fast hätte ich ihr alles erzählt, was ich über dich weiß. Aber das hätte auch nichts genutzt, nicht wahr? Sie hat dich nie gekannt.«
Einen eisigen Augenblick lang sah ich es durch Nessels Augen. Molly stand auf der Straße. Bei ihrem Kampf, Burrich zurückzuhalten, hatte sich ihr Haar gelöst. Es war lockig wie eh und je und schlug gegen ihre Schulter, als sie ihrem Mann mit der Faust drohte. Ihr jüngster Sohn, kaum älter als sechs, klammerte sich an ihren Rock und schluchzte verängstigt ob dieses wilden Spektakels, da sein Vater seine Mutter verließ. Die Sonne ging unter und tauchte die Landschaft in ein blutrotes Licht. »Du blinder, alter Narr!«, kreischte Molly ihrem Mann hinterher, und die Worte trafen mich wie ein Schlag ins Gesicht. »Du wirst dich verirren oder ausgeraubt werden! Du wirst nie wieder zu uns zurückkehren!« Das verhallende Klappern galoppierender Hufe war die einzige Antwort, die sie erhielt.
Dann wandte Nessel
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