Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet
mitten auf dem großen Bett bequem gemacht, während Nessel sich leise durch den winzigen Raum bewegte. Sie war mit typischen Aufgaben beschäftigt, wie sie des Abends anfielen. Leise summte sie vor sich hin, während sie beiseite geworfene Kleider wegräumte und dann Nahrungsmittel in den Schränken verstaute. Als sie fertig war, war der ganze Raum sauber und aufgeräumt. »Siehst du?«, sagte sie zu dem aufmerksamen Kätzchen. »Alles in bester Ordnung. Alles ist so, wie es sein sollte. Und du bist sicher. Süße Träume, mein Kleiner.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um die Lampe auszublasen. Plötzlich fiel mir etwas Seltsames auf. Ich hatte sie als Nessel erkannt, aber durch Dicks Augen als kleine, stämmige Frau mit grauem, zu einem Knoten gebundenen Haar und faltigem Gesicht wahrgenommen. Das war Dicks Mutter, und nun wusste ich auch, dass sie ihn erst sehr spät in ihrem Leben zur Welt gebracht hatte. Vom Aussehen her hätte sie eher seine Großmutter sein können.
Dann zog sich Dicks Traum vor mir zurück, bis ich den Eindruck hatte, aus der Ferne auf ein erleuchtetes Fenster zu blicken. Ich schaute mich um. Wir befanden uns auf dem Hügel, der geschmolzene Turm ragte über mir in die Höhe und um mich herum rankten sich abgestorbene Dornenzweige. Nessel stand neben mir. »Ich tue das für ihn, nicht für dich«, sagte sie offen. »Keines Menschen Seele sollte je solche angsterfüllte Träume erdulden müssen.«
»Bist du wütend auf mich?«, fragte ich sie bedächtig und fürchtete mich vor der Antwort.
Nessel schaute mich nicht an. Aus dem Nichts wehte plötzlich ein kalter Wind zwischen uns hindurch. Sie sagte: »Was haben sie wirklich bedeutet? Die Worte, die ich meinem Vater sagen sollte, meine ich. Bist du wirklich solch eine herzlose Bestie, Schattenwolf, dass du mir Worte gesagt hast, die ihm das Herz zerreißen?«
Ja. Nein. Mir fiel keine wahrheitsgemäße Antwort ein, die ich ihr hätte sagen können. Ich versuchte, ihr zu sagen, dass ich ihn nicht hatte verletzten wollen; aber war das wahr? Er hatte Molly für sich genommen. Natürlich hatten sie mich beide zu diesem Zeitpunkt für tot gehalten und mir nichts Böses gewollt; nichtsdestotrotz hatte er sie mir weggenommen. Und er hatte meine Tochter in Sicherheit erzogen. Ja. Das war die Wahrheit, und ich war ihm dankbar dafür... doch ich war ihm nicht dankbar dafür, dass sie stets sein Gesicht vor ihrem geistigen Auge sah, wann immer sie das Wort >Papa< hörte. »Du hast mich um diese Worte gebeten«, antwortete ich und bemerkte erst dann, wie hart das klang.
»Und so wie bei den Wünschen in den alten Geschichten, hast du mir gegeben, wonach ich verlangt habe, und es hat mir das Herz gebrochen.«
»Was ist passiert?«, fragte ich unwillig.
Nessel wollte es mir nicht sagen, und trotzdem tat sie es. »Ich habe ihm erzählt, dass ich einen Traum gehabt hätte, und dass mir in diesem Traum ein Wolf mit den Stacheln eines Stachelschweins auf der Nase versprochen habe, über Flink zu wachen und ihn sicher zu uns zurückzubringen. Und ich habe ihm die Worte übermittelt, die du mir gesagt hast. >So wie einst du, tue ich es jetzt. Ich behüte und leite deinen Sohn. Ich werde ihn mit meinem Leben beschützen, und sobald meine Aufgabe erledigt ist, werde ich ihn wieder zu dir nach Hause bringen.<«
»Und?«
»Meine Mutter knetete gerade Brotteig, und sie hat mir befohlen, nicht von Flink zu sprechen, wenn alles, was ich zu sagen hätte, eh nur Fantasterei und Unsinn sei. Doch sie hatte dem Tisch den Rücken zugekehrt, wo ich mit meinem Vater saß. So sah sie nicht, wie seine Augen bei meinen Worten immer größer wurden. Dann fiel er vom Stuhl und auf dem Boden, und dort lag er und starrte an die Decke. Ich dachte zuerst, ihm hätte das Herz versagt, und er sei tot. Meine Brüder und ich trugen ihn ins Bett und fürchteten das Schlimmste. Meine Mutter war außer sich vor Angst und verlangte von ihm zu wissen, wo es ihm wehtat; doch er antwortete nicht. Er legte nur die Hände auf die Augen, rollte sich wie ein geprügeltes Kind zusammen und weinte.
Den ganzen Tag hat er geweint und nicht ein Wort mit einem von uns gesprochen. Bei Einbruch der Nacht hörte ich, wie er aufstand. Ich trat ans Geländer - ich wohne unter dem Dach - und blickte nach unten. Mein Vater war für die Reise gekleidet. Meine Mutter hielt ihn am Arm und flehte ihn an, nicht hinauszugehen. Doch er sagte zu ihr: >Weib, du hast keine Ahnung, was wir getan haben, und
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