Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
meinen Mund zu verlassen. Dann setzte Nessel sich neben mich in den Sand und blickte über das Wasser. Der Wind fuhr durch ihr Haar wie durch das Fell eines Wolfs. Ihre Stille war solch ein krasser Gegensatz zu dem chaotischen Geschrei in mir, dass ich plötzlich erkannte, was für ein lästiger Kerl ich war, der die Luft ständig mit sinnlosem Geplapper füllte. Ich saß neben ihr, den Schwanz sorgfältig um die Vorderpfoten gelegt, und ich sagte: »Ich habe Nachtauge versprochen, dir Geschichten von ihm zu erzählen, und das habe ich nicht getan.«
Schweigen spann sein Netz zwischen uns, doch schließlich sagte sie: »Ich denke, ich würde heute Nacht gerne eine hören.«
Also erzählte ich ihr von dem ungeschickten Welpen mit der dicken Nase, der hoch in die Luft sprang, um auf unglückseligen Mäusen zu landen, und von der Zeit, da wir gelernt hatten, einander zu vertrauen, gemeinsam zu jagen und wie eins zu denken. Und Nessel hörte mir die ganze Nacht über zu, und bei einigen Geschichten, die ich erzählte, neigte sie den Kopf zur Seite und sagte: »Ich glaube, daran kann ich mich erinnern.«
Ich wachte im Morgengrauen auf, umgeben von den bunten Bestien, die die Zeltwände zierten, und einen Augenblick lang hatte ich alle Sorge und jeden Gedanken an Rache vergessen. Alles, was ich sah, war ein schimmernder blauer Drache mit ausgebreiteten Flügeln und darunter scharlachrote und purpurne Schlangen, die sich durchs Wasser wanden. Langsam wurde ich mir Dicks Schnarchen bewusst und dass die Wellen dicht an unser Zelt gekommen waren. Das Geräusch alarmierte mich, und ich sprang zur Zeltklappe, um hinauszuspähen. Zuerst war ich erleichtert, denn das Wasser zog sich zurück. Ich hatte die echte Gefahr verschlafen, als das Meer nur noch zwei Schritte von unserem Zelt entfernt gewesen war.
Ich kroch hinaus, streckte mich und blickte über die Wellen. Ich empfand ein seltsames Gefühl des Friedens. Meine bedrückende Mission lag noch immer vor mir, doch ich hatte einen Teil meines Lebens zurückgewonnen, den ich für immer verloren geglaubt hatte. Ich ging ein Stück vom Zelt weg, um mich zu erleichtern, und genoss geradezu die Kälte des nassen Sands unter meinen nackten Füßen. Doch als ich wieder zum Zelt zurückkehrte, war aller Gleichmut dahin.
Im Sand eingesunken, nur wenige Zoll von der Zeltklappe entfernt, lag der Honigtopf des Narren.
Ich erkannte ihn im selben Moment, und ich erinnerte mich daran, wie er in unserer ersten Nacht auf der Insel aus meinem Zelt verschwunden war. Rasch ließ ich meinen Blick über den Strand und die Klippen schweifen und suchte nach Hinweisen auf eine andere Person. Da war nichts. Langsam näherte ich mich dem Honigtopf, als könne er mich beißen, und suchte die ganze Zeit über nach dem kleinsten Hinweis darauf, wer in der Nacht so still und heimlich zum Zelt gekommen sein konnte. Doch die Wellen hatten alle Spuren im Sand verwischt. Der Schwarze Mann war mir abermals entkommen.
Schließlich hob ich den Krug auf. Ich zog den Stopfen heraus und erwartete ... ich weiß nicht was, doch er war vollkommen leer. Nicht ein einziger Tropfen Honig war noch darin. Ich brachte ihn hinein und verstaute ihn sorgfältig bei den anderen Sachen des Narren, während ich überlegte, was das wohl zu bedeuten hatte. Ich dachte daran, Chade und Pflichtgetreu über die Gabe von meiner seltsamen Entdeckung zu berichten, doch schließlich kam ich zu dem Schluss, erst einmal niemandem davon zu erzählen.
An diesem Morgen fand ich nur wenig Holz, und so müssten Dick und ich uns mit kaltem Wasser und Salzfisch zum Frühstück begnügen. Die Vorräte, die für einen Mann mehr als gereicht hätten, wurden nun rasch weniger. Ich atmete tief durch und versuchte, ein Wolf zu sein. Jetzt hatten wir erst einmal schönes Wetter und genug zu essen für den Tag, und ich würde diesen Vorteil nutzen, um weiterzuziehen, ohne zu jammern. Dick war in leutseliger Stimmung, bis ich begann, das Zelt abzubauen. Dann beschwerte er sich, dass ich Tag für Tag nur am Strand entlanglaufen wollte. Ich biss mir auf die Zunge und erinnerte ihn nicht daran, dass er sich das ausgesucht und ich ihn nicht gebeten hatte, hier zu bleiben und sein Leben mit meinem zu verbinden. Stattdessen sagte ich ihm, dass wir nicht mehr weit gehen müssten. Dass schien ihn zu ermutigen. Dass ich beständig nach Spuren von Sieber und den anderen suchte, die vom Strand wegführten, erwähnte ich nicht. Sieber hatte von einer Klippe
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