Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
zurück.«
»Wenn wir einfach weitergehen, kommen wir vielleicht irgendwann dorthin.«
»Nein, Dick. Aslevjal ist eine Insel. Sie ist rundum von Wasser umgeben. Wir können nicht wieder nach Hause laufen. Früher oder später werden wir auf ein Schiff müssen.«
»Nein.«
Und da war es schon wieder. Er schien so viele Dinge zu verstehen, doch in diesem Fall weigerte er sich einfach, es zu begreifen. Ich gab es für die Nacht auf, und wir rollten uns in unsere Decken. Wieder beobachtete ich, wie Dick mühelos in den Schlaf hinüberglitt wie ein Schwimmer ins Wasser. Ich hatte nicht den Mut aufgebracht, mit ihm über Nessel zu sprechen. Ich fragte mich, wie sie über meine Abwesenheit dachte, oder ob sie sie überhaupt bemerkte. Dann schloss ich die Augen und versank in Schlaf.
Am zweiten Tag unseres Marsches war Dick schon gelangweilt. Zweimal ließ er mich weit vorausgehen, bis ich fast außer Sicht war. Und beide Male rannte er keuchend über den nassen Sand, um mich wieder einzuholen. Jedes Mal verlangte er von mir zu wissen, warum wir so schnell gehen mussten. Mir fiel keine Antwort ein, die ihn zufrieden gestellt hätte. Tatsächlich kannte ich nur den Grund für meine eigene Eile: Das hier musste beendet werden. Vorher würde ich keinen Frieden finden. Wenn ich mir den Narren tot vorstellte, sein Leib verschüttet in diesem eisigen Grab, war der Schmerz so groß, dass ich kurz davorstand, in Ohnmacht zu fallen. Ich wusste, dass ich seinen Tod nicht wirklich realisieren würde, bevor ich ihn nicht sah. Es war, als blicke man auf einen von Wundbrand zerfressenen Fuß, wohlwissend, dass er abgehackt werden musste, bevor die Heilung einsetzen konnte. Ich lief so schnell, um mich endlich dieser Qual zu stellen.
Diesmal erwischte uns die Nacht auf einem schmalen Strandstreifen vor einer Steilklippe, von der Eiszapfen hinunterhingen. Ich kam zu dem Schluss, dass hier gerade genug Platz war, das Zelt aufzuschlagen, und dass uns schon nichts passieren würde, solange kein Sturm das Wasser tiefer landeinwärts trieb. Wir bauten das Zelt auf, sicherten es mit Steinen im Sand, machten unser Feuer und aßen unser armseliges Mahl.
Der Mond schien nun ein wenig stärker, und wir saßen eine Zeit lang unter den Sternen und blickten aufs Wasser hinaus. Dabei fand ich die Zeit, mich zu fragen, wie es Harm wohl ging und ob mein Junge seine gefährliche Zuneigung zu Svanja überwunden hatte oder ob er ihr endgültig erlegen war. Ich konnte nur hoffen, dass er bei Vernunft geblieben war. Ich seufzte, während ich mich darum sorgte, und Dick fragte mitfühlend: »Hast du Bauchschmerzen?«
»Nein. Nicht wirklich. Ich mache mir Sorgen um Harm, meinen Sohn in Burgstadt.«
»Oh.« Er klang nicht sehr interessiert. Dann, als hätte er schon länger darüber nachgedacht: »Du bist immer irgendwo anders. Du machst nie Musik, wo du bist.«
Ich schaute ihn einen Augenblick lang an und senkte dann meinen ständigen Schutzwall gegen seine Musik. Sie hineinzulassen, war, als würde ich die Nacht in meine Augen lassen, wenn das Zwielicht über das Land kam und die Zeit zur Jagd nahe war. Ich entspannte mich und ließ die Freude des Wolfs über das Jetzt in mich hineinströmen, wie ich es schon viel zu lange nicht mehr getan hatte. Ich fühlte das Wasser und den leichten Wind. Dann hörte ich das Flüstern des über das Land wehenden Sands und Schnees und weit dahinter das leise Stöhnen des Gletschers. Plötzlich roch ich das Salz des Meeres, das Jod im Tang sowie den alten Schnee auf dem Land.
Es war, als hätte ich die Tür zu einem älteren Ort und einer älteren Zeit geöffnet. Ich blickte zu Dick hinüber und sah ihn plötzlich als ein Ganzes, perfekt angepasst an diese Umgebung, denn er gab sich ihr vollkommen hin. Während er dort saß und die Nacht genoss, mangelte es ihm an nichts. Ich spürte, wie sich mein Mund zu einem Lächeln verzog. »Du hättest einen guten Wolf abgegeben«, sagte ich zu ihm.
Und als ich in jener Nacht einschlief, fand mich Nessel. Es dauerte einige Zeit, bis ich mir ihrer Gegenwart bewusst wurde, denn sie saß am Rand meines Traums und ließ den Seewind ihr Haar zerzausen, während sie mich aus dem Fenster meiner Kinderkammer in Bocksburg heraus anschaute. Als ich schließlich zu ihr blickte, trat sie aus dem Fenster und auf meinen Strand und sagte: »Nun. Da sind wir beide wieder.«
Ich fühlte , wie all die Entschuldigungen und Erklärungen in mir aufstiegen und sich darum drängten, als Erste
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