Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
ihn wissen zu lassen?«
Ich wollte sie an Ort und Stelle erschlagen. Aber dafür hätte ich seinen Leib ablegen müssen, und das würde ich nicht tun. Sie würde mich nicht dazu bringen, ihn noch einmal aufzugeben. Ich würde ihn nicht absetzen, und ich würde auch nicht wieder zu ihr zurückblicken. Ich krümmte meinen Rücken gegen ihre Worte und trottete weiter.
»Hast du? Hast du? Hast du?«
Ich hatte erwartet, ihre Stimme verhallen zu hören, je weiter ich ging. Stattdessen hob sie sie, und ihr Tonfall wurde immer wütender, während sie mir die hasserfüllten Fragen stellte. Nach einiger Zeit wusste ich, dass sie mir folgte. Ihre Worte waren nun ein heiseres Kreischen, das Schreien einer Krähe, die die anderen ruft, um auf dem Schlachtfeld ein Festmahl abzuhalten. »Hast du? Hast du? Hast du?«
Selbst als ich sie hinter mir laufen hörte und wusste, dass sie mich angreifen würde, brachte ich es noch immer nicht über mich, den Leib des Narren fallen zu lassen. Ich hielt ihn an mich gedrückt und drehte die Schulter in ihren von Wahnsinn getriebenen Ansturm. Ich glaube nicht, dass es das war, was sie erwartet hatte. Vielleicht hatte sie gehofft, ich würde ihr mit gezücktem Schwert entgegentreten. Sie versuchte anzuhalten, doch der eisige Boden machte ihr das unmöglich. Sie rutschte in mich hinein. Ich hielt den Leib des Narren, auch als ich gegen die Wand geworfen wurde, und irgendwie gelang es mir sogar, auf den Beinen zu bleiben. Ihr nicht. Sie wurde zur Seite geworfen und schrie heiser vor Schmerz. Ich blickte sie unbewegt an und fragte mich, warum ein solch simpler Sturz ihr solche Schmerzen verursachte. Dann, als sie versuchte aufzustehen, sah ich, was sie vor mir verborgen hatte.
Siebers Geschichte war wahr gewesen. Ich starrte auf die schwarzen, verkrüppelten Armstümpfe, die sie zu benutzen versuchte. Sie konnte weder aufstehen noch die Stümpfe wieder unter ihrem Mantel verbergen. Ich blickte ihr in die farblosen Augen und sagte kalt: »Du bist der Feigling. In der letzten Minute konntest du dich selbst nicht aufgeben, noch nicht einmal, um deine eigene Vision der Welt zu vollenden. Dazu hat dir sein Mut gefehlt. Er hat den Preis akzeptiert, den das Schicksal ihm abverlangte. Er hat den Schmerz und den Tod auf sich genommen, und er hat gewonnen. Er hat triumphiert. Du hast versagt.«
Sie brachte einen Laut hervor, voller Hass und Zorn, eine Mischung aus Kreischen und Heulen. Es schlug gegen meine Gabenmauer, doch sie kam nicht durch. Hatte sie ihre Kraft für diese Magie von Kebal Raubart bezogen? Ich beobachtete, wie sie versuchte, wieder aufzustehen. Der lange Mantel behinderte sie, denn sie kniete auf dem Saum. Die schwarzen Stummel, die ihre Arme gewesen waren, halfen ihr nicht. Von den Ellbogen an abwärts waren nur noch Knochen übrig. Ich sah die Überreste von Elle und Speiche. Hände und Finger fehlten vollständig. Wenigstens die hatte sie dem Drachen gegeben, bevor sie die Nerven verloren und sich von ihm losgerissen hatte. Ich erinnerte mich daran, wie Veritas und Krähe gegangen waren. Wie sie mit dem Drachen verschmolzen waren, den sie so liebevoll zum Wohle ihres Volkes erschaffen hatten. Dann drehte ich mich um und ging von ihr fort.
»Bleib stehen!«, befahl sie mir. Die Wut in ihrer Stimme war nicht zu überhören. »Du wirst mich hier töten! Ich habe es gesehen. Hundert Mal habe ich es in meinen Albträumen gesehen. Du wirst mich jetzt töten! Das war mein sicheres Schicksal, sollte ich hier scheitern. Ich habe mich davor gefürchtet, doch nun befehle ich es dir! Meine Visionen sind stets wahr geworden. Es ist dein Schicksal, mich zu töten.«
Ich sprach über die Schulter, ohne wirklich über meine Worte nachzudenken. »Ich bin der Katalyst. Ich verändere die Dinge. Und außerdem: Die Zeit, in der wir uns jetzt befinden, ist die des Narren. Es ist seine Zukunft in der wir leben. In seiner Version der Zukunft gehe ich von dir weg, und du wirst langsam sterben. Allein.«
Ich ging ein weiteres Dutzend Schritte, dann schrie sie. Sie schrie, bis ihr die Luft ausging und ich nur noch ein rasselndes Keuchen hörte. Ich ging weiter.
»Du
bist
noch immer der Katalyst!«, kreischte sie hinter mir her. Jetzt lagen nur noch Verzweiflung und Staunen in ihrer Stimme. »Wenn du mich nicht töten willst, dann komm zurück und nutz deine Gabe, um mich zu heilen. Ich werde dir in jeder Hinsicht Untertan sein! Du könntest mich benutzen, wie du willst, und ich könnte dich alles
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