Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
meiner Lunge. Es war gut. Da war Schmerz, viel Schmerz. Doch der Schmerz ist der Bote des Körpers, die Warnung, dass irgendetwas nicht stimmt und repariert werden muss. Der Schmerz sagt dir, dass du noch lebst. Ich hörte auf diese Botschaft und erfreute mich an ihr. Eine lange Zeit lang war mir das genug.
Ich blinzelte und verlagerte meinen Blick. Irgendjemand hielt mich in seinen Armen. Sein Arm unter meinem offenen Rücken bereitete mir unglaublichen Schmerz, doch mir fehlte die Kraft, ihn wegzunehmen. Ich schaute in mein eigenes Gesicht hinauf. Es war anders, als würde ich mich in einem Spiegel betrachten. Ich wirkte älter, als ich gedacht hatte. Ich hatte die Krone vom Kopf genommen, doch auf meiner Stirn war eine Schwellung zu erkennen, wo sie mein Fleisch verbrannt hatte. Meine Augen waren geschlossen. Trotzdem quollen Tränen unter den Lidern hervor und rannen mir über die Wangen. Ich fragte mich, warum ich weinte. Wie konnte irgendjemand bei solch einem schönen Sonnenaufgang weinen? Mit großer Mühe gelang es mir, eine Hand zu heben und mein eigenes Gesicht zu berühren. Meine Augen wurden aufgerissen, und ich starrte sie voller Verwunderung an. Ich hatte weder gewusst, dass sie so dunkel waren, noch dass ich sie so weit aufreißen konnte. Ungläubig blickte ich auf mich selbst herab. »Fitz?« Die Betonung war die des Narren, doch die heisere Stimme war meine.
Ich lächelte. »Geliebter.«
Er drückte sich an mich. Ich krümmte mich vor Schmerz, doch er schien es nicht zu bemerken. Schluchzen schüttelte ihn. »Ich verstehe das nicht!«, heulte er in den Himmel hinauf. »Ich verstehe das nicht!« Er schaute mich um, mein Gesicht wild vor Unsicherheit und Furcht. »Ich habe diesen Augenblick nie gesehen. Ich bin außerhalb meiner Zeit, jenseits meines Endes. Was ist geschehen? Was ist aus uns geworden?«
Ich versuchte, mich zu bewegen, aber ich hatte so wenig Kraft. Eine Zeit lang musste ich das Weinen ignorieren, während ich mich selbst abschätzte. Ich hatte eine Menge Schaden davongetragen, doch der Körper hatte bereits mit der Selbstheilung begonnen. Ich fühlte mich schrecklich, schrecklich schwach. Ich atmete tiefein und sagte ihm leise: »Die Haut auf meinem Rücken ist noch neu und zart.«
Er schnappte nach Luft. Mit rasselndem Atem protestierte er. »Aber ich bin gestorben. Ich war in diesem Leib, und sie haben mir die Haut vom Rücken geschnitten. Ich bin gestorben.« Seine Stimme brach bei diesen Worten. »Ich... Ich erinnere mich. Ich bin gestorben.«
»Du warst mit dem Sterben an der Reihe«, stimmte ich ihm zu, »und es war an mir, dich wieder zurückzubringen.«
»Aber wie? Wo sind wir? Nein. Ich weiß, wo wir sind. Aber
wann
sind wir? Wie können wir hier sein und leben ? Wie können wir so sein?«
»Bleib ruhig.« Ich sprach mit der Stimme des Narren. Ich versuchte, seinen Tonfall nachzuahmen, um ihn zu belustigen, und fast wäre mir das auch gelungen. »Alles wird wieder gut.«
Ich fand mein Handgelenk mit seiner Hand. Die Fingerspitzen wussten genau, wo sie hingehörten. Einen Augenblick lang blickten wir einander in die Augen, während wir zu einer Einheit verschmolzen. Eine Person. Wir waren schon immer eine Person gewesen. Nachtauge hatte das schon vor langer Zeit ausgesprochen. Es war gut, wieder ganz zu sein. Ich benutzte unsere Kraft, um mich hochzuziehen und seine Stirn an die meine zu drücken. Ich schloss nicht seine Augen. Unsere Blicke trafen sich wieder. Ich spürte meinen ängstlichen Atem auf seinem Mund. »Nimm deinen Leib von mir zurück«, bat ich ihn leise. Und so gingen wir, einer zum anderen, doch für eine Zeit waren wir eins gewesen. Die Grenzen zwischen uns waren in der Vermischung dahingeschmolzen.
Keine Grenzen
, erinnerte ich mich an seine Worte, und plötzlich verstand ich, was er damit gemeint hatte. Keine Grenzen zwischen uns. Langsam zog ich mich von ihm zurück. Ich straffte den Rücken und blickte auf den Narren in meinen Armen hinunter. Einen Augenblick lang schaute er mich mit klaren Augen an, und nur Verwunderung war in ihnen zu erkennen. Dann verlangte der Schmerz seines zerstörten Leibes nach seiner Aufmerksamkeit. Ich sah, wie er die Augen zusammenkniff und vor meiner Berührung zurückzuckte. »Es tut mir Leid«, sagte ich sanft und legte ihn wieder auf den Mantel. Die Immergrünäste, die seinen Scheiterhaufen gebildet hatten, dienten ihm nun als Matratze. »Du hattest nicht genug Reserven, als dass ich eine vollständige Heilung
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