Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
nicht.
»Nein«, widersprach er sich selbst. »Er ist wichtig.« Der Atem des Narren klang rasselnd, und nun stolperte er mehr, als dass er lief. Er packte mich am Ärmel, lehnte sich kurz an mich und zwang sich dann weiterzurennen. »Ich habe noch nie eine solche Bedeutung in einem Menschen gefühlt. Hilf mir, Fitz. Wir müssen ihm folgen. Er will, dass wir ihm folgen. Siehst du das denn nicht?«
Ich sah nichts, außer dass wir ihn nicht einholen konnten. Keuchend eilten wir ihm weiter hinterher, ohne ihm auch nur ein Stück näher zu kommen, aber auch ohne ihn aus den Augen zu verlieren. Die Gänge, in die er uns führte, wurden immer breiter und ausgearbeiteter. Ranken und Blüten zierten die gefrorenen Stürze der Durchgänge, an denen wir vorüberkamen. Der Schwarze Mann blickte weder nach rechts noch nach links und ließ auch uns keine Zeit dazu. Wir kamen an einem von Girlanden umschlungenen Bassin aus Eis vorbei, in dem sich eine gefrorene Fontäne befand. Wir kamen durch geräumige, elegante Gänge eines wunderbaren Eispalastes, und wir sahen nicht eine Menschenseele oder spürten die Wärme von Atem.
Schließlich wurden wir immer langsamer, bis wir nur noch gingen, abgesehen von ein paar Sprüngen, wann immer der Schwarze Mann hinter einer Ecke verschwand. Keiner von uns verfügte noch über genügend Atem, um Fragen zu stellen. Ich glaube nicht, dass der Narr noch an irgendetwas anderes dachte, als ihn einzuholen. Mein Mund war wie ausgetrocknet, mein Herz dröhnte mir in den Ohren, und noch immer verfolgten wir ihn. Er schien sich seiner sehr sicher zu sein, während er durch das Labyrinth der Gänge eilte. Ich fragte mich, wohin wir gingen und warum.
Dann führte er uns in einen Hinterhalt.
Jedenfalls kam es mir so vor. Der Schwarze Mann hatte wieder eine Abzweigung genommen, und als der Narr und ich unsere Schritte erneut beschleunigten, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren, bogen wir um die Ecke und rannten sechs Bewaffneten direkt in die Arme. Ich erhaschte einen letzten Blick auf den Schwarzen Mann weit den Gang hinunter. Er blieb stehen, und als die Bewaffneten überrascht aufschrien und über uns herfielen, verschwand er.
Uns zu verteidigen kam nicht in Frage. Wir waren zu weit gerannt, hatten zu wenig gegessen, getrunken und geschlafen. Ich hätte mich noch nicht einmal gegen einen wütenden Hasen wehren können. Als sie den Narren packten, schien ihn alles Leben zu verlassen. Das Messer fiel ihm aus der gefühllosen Hand. Sein Mund klappte auf, aber er schrie noch nicht einmal. Ich stieß mein Messer in die Wolfsfelljacke des ersten Mannes, der sich auf mich stürzte. Dort blieb es stecken, als er mich zu Boden riss.
Ich schlug mit dem Hinterkopf auf den eisigen Boden, und die Welt um mich herum explodierte in weißem Licht.
Die Religion des Weißen Propheten hatte nie eine starke Gefolgschaft in den nördlichen Ländern, doch eine Weile galt sie als höchst amüsanter Zeitvertreib am jamailianischen Hof Satrap Esclepius war geradezu verliebt in die Bücher der Prophezeiung, und er zahlte große Summen an Händler, die ihm eines jener raren Manuskripte beschaffen konnten. Diese vertraute er den Priestern von Sa an, die wiederum neue Kopien für ihn anfertigten. Es hieß, dass er sich oft zu diesem Zweck an sie wandte. Er pflegte, Sa ein Opfer darzubringen, seine Frage zu stellen und willkürlich eine Passage aus den Manuskripten auszuwählen. Anschließend meditierte er dann über die Passage, bis er das Gefühl hatte, seine Frage sei beantwortet.
In dem Bestreben, ihren Herrscher nachzuahmen, erwarben die Edlen des Hofes alsbald ebenfalls Kopien der Weißen Prophezeiungen, die sie dann auf eben diese Art verwendeten. Eine Zeit lang erfreute sich dieser Zeitvertreib großer Beliebtheit, bis der Oberpriester des Sa ihn wegen Götzenanbetung und Blasphemie verdammte. Auf sein Bestreben hin wurden die meisten Schriftrollen eingesammelt und entweder zerstört oder der strikten Wachsamkeit der Priesterschaft überantwortet.
Es gibt jedoch Gerüchte, dass die Liebe des Satrapen zu
diesen Schriften entscheidend dafür war; dass er einem Jungen von seltsam blasser Hautfarbe seine Hilfe gewährte, dem es gelungen war, sich Gehör bei ihm zu verschaffen. Beeindruckt von der Fähigkeit des Jungen, aus den heiligen Schriften zu zitieren, und überzeugt davon, dass seine Hilfe für den Jungen in mehreren Versen vorhergesagt worden wäre, die der Junge für ihn gedeutet hatte, gewährte der
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