Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
auf mich verließ.
»Steh auf!«, wiederholte Web streng. »Wir haben heute schon genug Leute verloren. Jetzt werden wir nicht auch noch dich verlieren.«
Ich hob den Kopf und blickte zu ihm hoch. Ich fühlte mich gewandelt. »Ich bin schon vor langer Zeit verloren gegangen«, sagte ich ihm. Dann atmete ich tief durch, erhob mich und folgte ihm.
Die chalcedische Praxis, einen Sklaven mit einer Tätowierung als Eigentum zu markieren, nahm ihren Anfang als Adelsmode. In den frühen Tagen dieses Brauchs wurden nur die wertvollsten Sklaven markiert, jene Sklaven, die man beabsichtigte, ein Leben lang zu behalten. Der Brauch scheint eskaliert zu sein, als Lord Grart und Lord Porte, beides mächtige Adelige am chalcedischen Hof, in eine Art Wettstreit darum traten, ihren Reichtum zur Schau zu stellen. Dabei befahl Lord Grart, all seine Pferde zu brandmarken und all seine Sklaven zu tätowieren. Ganze Reihen von beiden begleiteten ihn, wohin er auch ging. Es heißt, dass Lord Porte in dem Versuch, seinen Rivalen zu imitieren, daraufhin Hunderte von günstigen Sklaven als Handwerker oder Akademiker gekauft hat, nur um sie tätowieren und zur Schau stellen zu können.
Zur gleichen Zeit wurden in Chalced einigen versklavten Handwerkern, Künstlern und Kurtisanen erlaubt, Aufträge außerhalb des heimischen Haushalts anzunehmen. Gelegentlich verdiente einer dieser Sklaven so viel dabei, dass er sich seine Freiheit erkaufen konnte. Natürlich ließen viele Herren solche Sklaven nur widerwillig gehen, und da man die den Besitz anzeigenden Tätowierungen nicht entfernen konnte und Freilassungsbriefe häufig gefälscht wurden, fiel es diesen Sklaven schwer; ihre Freiheit zu beweisen. Die
Sklavenbesitzer nutzten das, um teure >Freiheitsringe< zu kreieren, Ohrringe aus Gold oder Silber
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Juwelen besetzt und mit den Mustern einer bestimmten Familie verziert, die anzeigten, dass der entsprechende Sklave sich seine Freiheit verdient hatte. Oft dauerte es noch Jahre, nachdem ein Sklave sich seine Freiheit erkauft hatte, bis er sich solch einen Ohrring leisten konnte. Erst dann war es ihm möglich, sich frei in Chalced zu bewegen.
Fedwrens Geschichte des Chalcedischen Sklavenhandels
Der Anblick nach einer Schlacht ist mir nicht fremd. Ich bin schon oft über blutige Erde gegangen und über zerhackte Leiber gestiegen. Doch nie zuvor hatte ich einen Ort gesehen, an dem die Sinnlosigkeit des Krieges so deutlich wurde wie hier. Krieger verbanden die Wunden, die sie einander zugefügt hatten, und Outislander, die gegen uns gekämpft hatten, bedrängten die Hetgurdmänner nun nach Neuigkeiten von ihren Verwandten und Glanländern, die sie vor so vielen Jahren verlassen hatten. Sie glichen Männern, die aus einem legendären Schlaf erwacht waren. Begierig suchten sie nach ihren verlorenen Leben und trachteten danach, den Riss der Jahre zu überbrücken. Es war nur allzu offensichtlich, dass sie sich an alles erinnerten, was sie im Dienst der Bleichen Frau getan hatten. Ich erkannte eine der Wachen, die mich vor sie geschleppt hatte. Rasch wich er meinem Blick aus, und ich stellte ihn nicht zur Rede. Peottre hatte mir bereits das Einzige gesagt, was ich wissen musste.
Ich bahnte mir einen Weg durch unser Lager. Mit unangemessener Schnelligkeit wurde es bereits abgeschlagen. Zwei schwer Verwundete, beides ehemalige Männer der Bleichen Frau, wurden auf Schlitten gelegt, und die Zelte waren bereits so gut wie abgebaut. Über drei Toten schichtete man Eis zu einem Grabmal auf. Alle drei gehörten zu ihr. Eisfeuer hatte den Adler gefressen, den Hetgurdmann, der vor dem Drachen gefallen war. Für ihn würde es kein Grab geben. Die anderen beiden Männer, die wir verloren hatte, Fuchs und Sicher, waren in der Grube verschüttet. Ich nehme an, es war sinnlos, sie auszubuddeln und erneut zu begraben. Es war eine eilige, wenig respektvolle Art, unsere Toten zurückzulassen. Doch ich verstand die Gefühle, die dahinter standen. Je schneller wir diesen Ort verließen, desto rascher würde die Bleiche Frau ein Geschöpf der Vergangenheit sein. Ich hoffte, dass auch sie unter den Eismassen begraben war.
Web ging neben mir, und Chade eilte mir entgegen. Irgendjemand hatte ihm den Arm verbunden. »Hier en lang«, sagte er und führte mich zu der Stelle, wo Burrich im Schnee lag. Flink kniete neben ihm. Sie hatten nicht versucht, ihn zu bewegen. Sein Leib war vollkommen verdreht, das Rückgrat offensichtlich gebrochen. Ich sank neben ihm auf
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