Die 33 tollsten Ängste ...: ... und wie man sie bekommt (German Edition)
noch Hosenträger, die waren ja hochmodern zu Ihrer Zeit …«
Man würde diesen Laden immer und immer wieder aufsuchen. Denn nirgends wäre das Einkaufen so aufregend, geradezu -wühlend. Nach einer solch unverschämten Attacke ist man nämlich am Boden zerstört, verzweifelt, erniedrigt, gekränkt. Man ist zutiefst verunsichert, fühlt sich verwahrlost, das Selbstwertgefühl geht in den Keller. Und kommt so schnell nicht wieder hoch.
Nach ihrer beleidigenden Tirade verlassen dich die Arzthelferinnen erneut. Vorher aber reißen sie dir gemeinsam die Kiefer auseinander. Idealerweise werden sie dir Wattestäbe in die Wangen stopfen oder mit Metallstäben eine Art Trapez in den Mundwinkeln fixieren. Sollte das nicht reichen, werden dir außerdem noch zwei Schläuche eingehängt: einer, der Wasser zuführt, ein anderer, der es wieder absaugt. Sichergestellt werden soll damit, dass du keinesfalls zum Artikulieren kommst. Was besonders schön ist, da der Arzt doch vor der Behandlung noch dieses oder jenes besprechen wollte. Von wegen Sprechzimmer: Er wird Fragen stellen, aber keine Antworten bekommen. Sondern angesichts der seltsamen Geräusche aus deinem Rachen einfach tun, was ihm in den Sinn kommt. »Hmmmmm … Sagen Sie: Wollen wir den denn wirklich ziehen?« – »Grrreeeempfffllschhhhhh!!!!!« – »Na ja, egal. Irgendwann muss jeder gehen!« – Und: zack!
Wobei der Auftritt des Zahnarztes selbst eigentlich gar nicht mehr nötig ist, er ist lediglich das i-Tüpfelchen, das Sahnehäubchen. Aber der Doktor soll ja auch etwas von deinem Besuch haben und deinen Anblick in diesem Zustand wenigstens kurz genießen dürfen. Die Behandlung, der wirklich schmerzhafte Teil, spielt eine völlig untergeordnete Rolle. Man befindet sich ohnehin schon im Delirium. Das Ziel ist schon längst erreicht: feuchte Hände, Egoverlust, Sprachzentrum außer Kontrolle, Körperausdünstungen jeder Art, Herzrasen – Angst pur. Und wenn die Betäubung nachlässt und der echte Schmerz einsetzt, ist man schon wieder zuhause.
Dieser emotionalen Achterbahnfahrt kann sich keiner entziehen. Es sei denn, er hat ein riesiges Ego, ist emotional total verkrüppelt, von sadistischem Naturell und hat überhaupt keine existenziellen Sorgen, kurz: Er ist selber Zahnarzt.
ANGST VOR DEN ELTERN
(Parentophobie)
Angst vor den Eltern ist prinzipiell angebracht, sie ist gut und wird seit Menschengedenken für sinnvoll gehalten. Schließlich ist sie nicht umsonst im moralischen Zentralkatalog »Die zehn Gebote« verewigt. Gelegentlich verharmlost man sie auch als »Achtung« oder »Respekt«.
Die Furcht vor den Eltern hat ursprünglich natürlich nichts damit zu tun, dass sie überraschend sonntagnachmittags vor der Tür stehen, zwei unterschiedliche Stücke Torte auf den Teller und einen bestimmten Tee in die Tasse wollen, um sich dann über den Zustand des Autos (Vater) und des Gartens (Mutter) zu beschweren. So sehr er einem auch bevorsteht: Der Verwandtenbesuch ist eine spätere zivilisatorische Entwicklung – und eines von zahlreichen Beispielen dafür, dass die Mobilität von Senioren nicht immer ein Segen sein muss. Zumindest nicht für die Umwelt.
Natürlich ist die Furcht vor den Eltern viel älter. Sie ist zunächst körperlich begründet. Sie sind die »Großen«, die »Erwachsenen«. Sie sind einfach stärker. Sie können beispielsweise Nägel aus Stahl in Wände aus Beton schlagen. Sie können auch die auf Regalen oder Schränken in luftiger Höhe versteckten Süßigkeiten lächelnd erreichen und sich einverleiben. Kinder müssen dazu mehrere Stühle aufeinanderstellen oder eine Räuberleiter bilden. Oder noch schlimmer: um Erlaubnis bitten. Und dann vor dem Naschen erst die Hausaufgaben zu Ende machen.
Eltern können nahezu alles, ohne jemanden bitten oder Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen: Sie dürfen ins »tiefe Becken«. Sie können nachts um die Häuser ziehen und dürfen Auto fahren. Wenn auch nicht unbedingt direkt nacheinander. Erwachsene können sich alles erlauben. Meistens fragen sie noch nicht mal – sie tun es einfach. Das ist für Kinder zutiefst frustrierend, da sie nicht den Eindruck haben, ihre Eltern verhielten sich in irgendeiner Weise konsequenter als sie selbst. Oder hätten sich ihre Autonomie irgendwie verdient. Diesen Eindruck müssen die Erziehungsberechtigten auch massiv unterstützen, indem sie anders handeln als sie predigen, selbst tun, was sie verbieten und vor allem dabei den Eindruck vermitteln, sie
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