Die 39 Zeichen 10 - Der Schlüssel zur Macht
worden. »Zwei oder drei. Das wird dir gefallen.«
Und jetzt saß Dan also seit gefühlten drei Jahren im Globe Theatre und langweilte sich zu Tode. Ja, es war tatsächlich mit Schwertern gekämpft worden, aber Dan hatte das meiste verpasst, weil er sich ständig zu Amy hinüberlehnen musste, um ihr Fragen zu stellen: »Halt mal. Wieso kämpfen die jetzt? Nur weil der eine Typ sich vor dem anderen auf den Daumen gebissen hat? Was ist denn dabei?«
»Zu Shakespeares Zeiten war das eine schlimme Beleidigung.«
»Okay, dann beiße ich mir auch auf den Daumen, wenn wir das nächste Mal Isabel Kabra begegnen.«
Dann war der Schwertkampf auch schon beendet gewesen. Und seitdem hatte das Stück vor allem darin bestanden, dass man seichtes Zeug über die Liebe faselte.
Eben jetzt stand dieses Mädchen Julia auf dem Balkon, der über der Bühne herausragte.
»O Romeo, Romeo«, seufzte sie. »Wo bist du, Romeo?«
Dan stieß Amy den Ellbogen in die Seite.
»Sieht die schlecht?«, fragte er. »Dieser Romeo steht doch unter ihr auf der Bühne!«
»Es soll Nacht sein«, flüsterte Amy. »Es ist dunkel und er versteckt sich.«
»Dann versteckt er sich aber nicht sehr gut.«
Dan hielt immer weniger von diesem Shakespeare.
»Und was soll …«
»Sei mal still«, zischelte Amy. »Ich will zuhören.«
Sie lehnte sich mit verträumter Miene zurück. Nellie neben ihr sah mindestens genauso begeistert aus.
Dan sah sich um. Offenbar starrten alle im Theater mit demselben blöden Gesichtsausdruck wie Amy und Nellie auf diese Julia. Sogar die Zuschauer, die in der nicht überdachten Mitte des Theaters standen, wo ihnen der Regen auf die Köpfe prasselte.
Amy sagte, diese Parterrebesucher auf den billigen Plätzen hießen Groundlings , und sie hätten kein Dach über dem Kop f, da das Globe ein originalgetreuer Nachbau sei.
Dan dachte, dass er, anstatt während dieser langweiligen Liebesschnulze auch noch im Regen stehen zu müssen, lieber historische Ungenauigkeit in Kauf nehmen würde.
Dann ließ er weiter den Blick schweifen. Er sah zum Dach des dreistöckigen Theaterbaus. Sie hatten nämlich Plätze an der Seite, nahe der Bühne, und so konnte er das halbrunde Strohdach, das alle außer den Groundlings schützte, gut sehen. Amy hatte ihm erzählt, dass es das einzige Strohdach in London war und nur genehmigt worden wäre, weil man es mit Flammschutzmittel behandelt hatte.
Das ursprüngliche Globe Theatre war abgebrannt.
Noch ein Feuer , dachte Dan. Wahrscheinlich haben es damals im 17. Jahrhundert verfeindete Cahills gelegt .
Dans Magen zog sich zusammen. So erging es ihm seit Jamaika, als er hatte zusehen müssen, wie ein unschuldiger Mensch starb. Kurz darauf hatte Dan einen Schock erlitten und arbeitete seitdem hart daran, Nellie und Amy davon zu überzeugen, dass bei ihm alles wieder normal war.
Das ist es auch , sagte sich Dan.
Nur nicht wenn er zu sehr an Lester dachte, wenn ihm klar wurde, wie gefährlich diese Zeichenjagd war. Dann verkrampfte er sich, sein Blick verschwamm, sein Kopf war leer und er wusste nicht, ob er im nächsten Moment in Ohnmacht fallen oder einfach nur losschreien würde.
Dan zwang sich, sich ganz genau auf das Strohdach zu konzentrieren. Vielleicht war dort oben ein Hinweis versteckt und er entdeckte ihn, während Nellie und Amy das Stück verfolgten.
Da tauchte genau in dem Teil des Strohdachs, das in Dans Blickfeld war, eine Hand auf.
Er schrak zurück und blinzelte.
Halluzinierte er? Sah er da Lesters Hand, die sich aus dem Treibsand hob?
Dan zwang sich, noch einmal hinzuschauen. Er hatte keine Halluzinationen. Jetzt sah er, dass sich eine Hand an das Strohdach klammerte. Er beobachtete, wie eine dunkle Gestalt dahinter auftauchte. Genau gegenüber der Bühne hielt sich jemand an der Dachkante fest und spähte herüber.
Zwei weitere vermummte Köpfe tauchten neben dem ersten auf.
Dan zog Amy am Arm. Er riss sich zusammen, um sich nicht aufzuführen wie jemand, der soeben geglaubt hatte, die Hand eines Toten zu sehen.
»Du hast nichts davon gesagt, dass hier auch Ninjas mitmachen!«, bemerkte er.
»Wovon redest du? In Romeo und Julia gibt es keine Ninjas!«, entgegnete Amy.
»Oh doch!«, beharrte Dan. »Sieh mal!« Er wies auf das Dach hinter ihnen. »Gleich seilen sie sich ab!«
Amy sah jetzt auch zum Dach empor.
»Oh nein«, stöhnte sie.
In dem kurzen Moment, während Dan weggeschaut hatte, hatten die drei Ninja-Figuren begonnen, andere Kleider über ihre dunklen
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