Die 4 Frau
viel. Ganz besonders heute.«
»Und vergessen Sie, was wir über den Hund gesagt haben, okay?«
»Ach was, Sie hatten völlig Recht, Nicolo. Sie bleibt an der Leine.«
»Immer streng nach Vorschrift?«
»Aber klar, so bin ich nun mal.«
»Viel Glück, Lieutenant, ja?«
»Danke, Jungs.«
Friedman drückte kurz auf die Lichthupe, als sie an uns vorbeifuhren. Ich hielt Marthas Leine mit beiden Händen, sodass sie sich stramm um meinen Oberkörper spannte, bog in die Bay Street ein und lief wieder den Berg hinauf zur Jones Street.
Als ich dann erschöpft in die Eingangshalle von Yukis Haus taumelte, hatten sich sämtliche Knoten und Knäuel in meinen Muskeln und in meinem Kopf entwirrt. Minuten später ließ ich die wohlverdiente heiße Dusche auf mich niederprasseln, und das war der schönste Lohn, den ich mir wünschen konnte.
Nachdem ich mich mit einem von Yukis riesigen Frottee-Badetüchern abgerubbelt hatte, wischte ich das Kondenswasser vom Spiegel und musterte mich kritisch und eingehend.
Meine Haut war rosig. Meine Augen waren klar. Ich war mein Pensum in einer anständigen Zeit gelaufen, wenn man den Leinen-Stopp einkalkulierte. Es war alles okay mit mir. Egal, wie der Prozess ausgehen würde, ich war immer noch derselbe Mensch wie vorher.
Und
das
konnte mir auch ein Mason Broyles nicht nehmen.
100
Bis auf das Geräusch von Sam Cabots mühseligen Atemzügen war es total still im Gerichtssaal, als Broyles an seinem Tisch stand, den Blick auf den Monitor seines Laptops geheftet, und uns noch ein paar Sekunden lang auf die Folter spannte, ehe er mit seinem Schlussplädoyer begann.
Endlich ging er zur Geschworenenbank, und nachdem er die Geschworenen auf seine gewohnt schleimige Art begrüßt hatte, ergriff er das Wort.
»Wir sind uns sicherlich alle einig, dass die Polizei keinen leichten Job hat. Ich sage Ihnen ganz ehrlich:
Ich
möchte nicht mit unseren Gesetzeshütern tauschen. Sie müssen sich tagtäglich mit unangenehmen Zeitgenossen und hässlichen Situationen herumschlagen, und sie müssen immer wieder in Sekundenschnelle äußerst heikle Entscheidungen treffen.
Das sind alles Arbeitsbedingungen, die Lieutenant Lindsay Boxer akzeptiert hat, als sie in den Polizeidienst eintrat. Sie hat einen Eid geschworen, dass sie das Gesetz hüten und unsere Bürger schützen würde.
Und es ist unbestreitbar, dass man diesen Pflichten nicht in angemessener Weise nachkommen kann, wenn man betrunken ist.«
Ein Hustenanfall in den hinteren Reihen der Galerie bremste Broyles' rhetorischen Schwung. Geduldig harrte er aus, die Hände in den Hosentaschen vergraben, bis das trockene Gebell verstummt war.
Als wieder Ruhe im Saal eingekehrt war, redete er weiter, als sei er nie unterbrochen worden.
»Wir alle haben gestern Lieutenant Boxers Aussage gehört, und ich finde es höchst interessant, dass sie leugnet, was sie nicht zugeben kann – und zugibt, was sie nicht leugnen kann.
Lieutenant Boxer
leugnet
, dass sie gar nicht in diesen Wagen hätte einsteigen dürfen. Dass sie sich niemals hätte anmaßen dürfen, als Polizeibeamtin zu agieren, nachdem sie zuvor übermäßig dem Alkohol zugesprochen hatte. Aber sie
muss zugeben
, dass sie sich nicht an die Vorschriften gehalten hat. Und sie
muss zugeben
, dass sie Sara Cabot getötet und Sam Cabots Leben zerstört hat.
Meine Damen und Herren, wir haben genau deshalb Dienstvorschriften für die Polizei, damit es nicht zu tödlichen Schießereien wie der vom Abend des zehnten Mai kommen kann.
Diese Vorschriften wurden nicht erst nach diesem tragischen Vorfall eingeführt. Sie haben sich bewährt und sind nicht ohne Grund schon seit vielen Jahrzehnten in Kraft. Jeder Cop in dieser Stadt weiß, dass man sich einem verdächtigen Fahrzeug mit gezogener Waffe nähert, um der Person, die es zu überprüfen gilt, zu signalisieren, dass man es ernst meint.
Und man entwaffnet Verdächtige so, dass niemand dabei verletzt wird.«
Broyles ging zu seinem Tisch zurück und trank einen Schluck aus einem großen Wasserglas. Ich wäre am liebsten aufgesprungen und hätte ihm ins Gesicht gesagt, dass er die Wahrheit verdrehte, aber stattdessen sah ich nur stumm zu, wie er nach einem kurzen Blick in Richtung der Kameras wieder vor die Geschworenen trat, die alle wie gebannt an seinen Lippen zu hängen schienen.
»Sam und Sara Cabot waren zwei ausgelassene, freche Teenager, die es mit dem Gesetz nicht allzu genau nahmen. Sie liehen sich den Wagen ihres Vaters aus, ohne um
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