Die 5 Plage
»›Yukiiee. Willst du, dass ich fliegende Hitze bekommen? Mir gefallen hier. Ich mag meine Doktor. Ich mag meine Zimmer. Bring mir Lockenwickler mit. Und rosa Nachthemd mit Drachen. ‹«
Yuki lachte und schüttelte den Kopf. »Ich sag’s dir, sie tut gerade so, als wäre sie in einem Wellness-Hotel. Ich hätte sie am liebsten gefragt: ›Soll ich dir auch noch deine Sonnenbank mitbringen? Und deine Kakaobutter?‹ Weißt du, ich wollte ihr keine Angst einjagen, bloß weil Maureen O’Maras Eröffnungsplädoyer so ein Hammer war. Mensch, als diese ganzen Leute die Hände gehoben haben, da ist es mir eiskalt über den Rücken gelaufen.«
»Und wenn du einfach hingehst und sie aus dem Krankenhaus rausholst, ob es ihr nun gefällt oder nicht?«, meinte Cindy.
»Klar, daran hab ich auch schon gedacht - aber was ist, wenn sie dann tatsächlich die ›fliegende Hitze‹ kriegt?«
Cindy nickte verständnisvoll. »Wann wird sie denn entlassen?«
»Am Donnerstagmorgen, laut Dr. Pierce. Nach dem Kernspin. ›Dr. Pierce gute Arzt. Dr. Pierce ehrliche Mann!‹«
»Dr. Pierce, dein Zukünftiger«, witzelte Cindy.
»Genau der.«
»Also, geht’s dir jetzt besser?«
»Ja. Ich werde meine Mom später besuchen. Und ihr ein bisschen Gesellschaft leisten.«
»Dann kannst du also noch ein bisschen hierbleiben?«
»Ich sollte eigentlich zurück in die Kanzlei«, meinte Yuki, doch mit jedem Wort klang sie weniger entschlossen. »Aber zum Kuckuck, ich will unbedingt Larry Kramers Eröffnungsplädoyer hören. Wie kann ich mir das entgehen lassen?«
»Komm, setz dich zu mir«, sagte Cindy.
21
Cindy sah fasziniert zu, wie Larry Kramer seine kräftige, in graues Tuch gehüllte Einsfünfundneunzig-Figur in der Mitte des Saals aufbaute. Sein dichtes braunes Haar war zurückgekämmt, was seinen markanten Unterkiefer betonte und ihm das Aussehen eines Seemanns verlieh, der die Nase in den stürmischen Wind hält.
Ein Mann, der nur eine Richtung kennt: volle Kraft voraus , dachte Cindy.
Kramer begrüßte das Gericht und wandte sich dann freundlich lächelnd an die Geschworenen, denen er für ihre Teilnahme an diesem Prozess dankte.
»In einem Punkt hat Ms. O’Mara recht«, sagte er, indem er seine großen Hände auf die Balustrade der Geschworenenbank legte. »Sie hat verdammt recht, wenn sie behauptet, dass es bei diesem Fall um Gier geht. Denn es geht hier um die Geldgier ihrer Mandanten.
Dass unschuldige Menschen ihr Leben verloren haben, ist tragisch - und ich wäre der Letzte, der das bestreiten würde«, fuhr Kramer fort. »Aber ihre Familien hatten nur eines im Sinn, als sie sich entschlossen, vor Gericht zu ziehen: ganz groß abzukassieren. Sie wollen sich am Tod ihrer Angehörigen schadlos halten. Sie sind allein wegen des Geldes hier.«
Kramer lehnte sich über die Balustrade und sah in die Gesichter der Geschworenen.
»Den meisten Menschen mag das zynisch, rachsüchtig und materialistisch vorkommen. Aber es ist nicht allein die Schuld der Kläger.«
Kramer stieß sich von der Balustrade ab und trat in die Mitte des Saals, scheinbar in Gedanken verloren, um sich dann wieder zu den Geschworenen umzuwenden.
»Ich weiß sehr wohl, was Trauer ist. Mein Vater und mein Sohn sind beide im Krankenhaus gestorben. Mein kleiner Junge starb nur drei Tage nach seiner Geburt. Er war ein Geschenk des Himmels, das meiner Frau und mir jäh entrissen wurde. Mein Vater war mein bester Freund, mein Mentor und mein größter Fan. Ich vermisse sie beide jeden Tag aufs Neue.«
Kramers finstere Züge wurden weicher, als er langsam vor der Geschworenenbank auf und ab zu gehen begann, wie ein Hypnotiseur.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder und jede Einzelne von Ihnen schon einmal einen geliebten Menschen verloren hat, und Sie wissen, dass es vollkommen normal ist, einen Schuldigen finden zu wollen«, sagte Kramer.
»Sie leiden unter Ihrem Verlust, Sie sind wütend auf das Schicksal, aber irgendwann wenden Sie Ihren Zorn zum Guten und erinnern sich nur noch an die schönen Tage, die Sie mit diesem Menschen verbringen durften.
Sie machen Ihren Frieden mit der Tatsache, dass die Liebe nicht alles besiegt, dass das Leben ungerecht sein kann, dass Gottes Wege unergründlich sind. Und irgendwann lassen Sie los und leben Ihr Leben weiter. Sie lassen los.
Wollen Sie wissen, warum die Kläger das nicht tun?«, fragte Kramer. Er legte die Hände wieder auf die Balustrade und schenkte den Geschworenen seine ungeteilte
Weitere Kostenlose Bücher